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- Ausgabe Dezember 2021
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Perspektiven: Interview mit dem kantonalen Integrationsdelegierten
«Die emotionale Komponente der Integration wird oft unterschätzt» - Interview mit dem Baselbieter Integrationsdelegierten Martin BürginInterview: FIBL, Foto: Martin Bürgin
FIBL: Herr Bürgin, Sie sind seit 2014 Integrationsdelegierter im Kanton Basel-Landschaft. Was verstehen Sie persönlich unter Integration oder anders gefragt: Wann ist eine Person integriert?
Martin Bürgin: Hier sehe ich zwei Seiten: Ein Aspekt ist, was gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz gilt. Also zum Beispiel die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Teilnahme am Wirtschaftsleben und das Erlernen der lokalen Sprache. Auch wenn natürlich vieles eine Frage der Auslegung ist, sind das Aspekte, die relativ einfach überprüfbar sind. Zusätzlich gibt es eine zweite Seite, die sehr viel weitreichender ist. Sie betrifft das persönliche, individuelle Erleben des Integrationsprozesses und die Erkenntnis, dass dieser über die oben beschriebenen Kriterien hinausreicht und vielleicht auch gar nie abgeschlossen ist. Der emotionale Aspekt gehört beispielsweise hierzu. Es stellen sich Fragen wie «Bin ich hier wirklich angekommen? Fühle ich mich zugehörig?». Diese zweite Seite ist aus der Integrationsperspektive spannend aber auch herausfordernd, da Personen sehr wohl sämtliche gesetzliche Integrationskriterien erfüllen können, sich aber dennoch nicht als gut integriert bezeichnen würden. Dann beispielsweise, wenn sie das Gefühl haben, nicht ihr gesamtes Potenzial ausschöpfen zu können. Ganz grundsätzlich ist Integration ja keine exakte Wissenschaft und alle Menschen verstehen darunter wohl etwas Anderes. Ich denke aber, dass wir unterscheiden müssen zwischen dieser eher objektiven, «messbaren» Integration und der subjektiven, persönlichen Integration.

Martin Bürgin
Seit 2014 ist Martin Bürgin Leiter des kantonalen Fachbereichs Integration BL (FIBL). Von 2002 bis 2014 arbeitete er beim Amt für Migration und Bürgerrecht, zuletzt als Leiter der Abteilung Einreise und Aufenthalt EU/EFTA-Staaten. In den Jahren 2019 und 2020 absolvierte er den CAS Migrationsrecht der UNI Bern, Neuenburg und Freiburg.
So wie Sie das gerade geschildert haben, stehen das Gesetz und die subjektive Wahrnehmung der eigenen Integration also ein Stück weit im Widerspruch?
Nicht unbedingt. Ich denke, gerade bei der Sprache ist das Bewusstsein für deren integrierenden Charakter vorhanden und nicht einfach nur abstrakt im Gesetz als wichtige Voraussetzung definiert. Auf der anderen Seite erschliesst sich mir nicht in allen Fällen, weshalb eine Person, die in finanzielle Not geraten und deshalb von der Sozialhilfe abhängig geworden ist, nicht gut integriert sein kann. Auch wenn ich die Motivation dahinter verstehe, ist dieser Zusammenhang zwischen Fürsorgeabhängigkeit und Integration aus meiner Sicht nicht unproblematisch.
Ist «Integration» im Jahr 2022 nach wie vor ein geeigneter Begriff im Umgang mit zugezogenen Personen?
Das ist eine berechtigte Frage. Der Begriff «Integration» hat sich erst in den letzten zwanzig Jahren etabliert, davor war eher von Assimilation die Rede. Vermutlich sprechen wir in zwanzig Jahren auch nicht mehr von der Integration, sondern finden dafür neue Begriffe, die der Heterogenität unserer Gesellschaft, auch in ländlichen Gebieten, besser Rechnung tragen werden. Es ist eine Tatsache, dass die Zusammensetzung der Bevölkerung nicht mehr so homogen ist wie früher und die Zuwanderung längst zur Schweiz und zum Baselbiet dazugehört; unabhängig davon, ob man das gut findet oder nicht. Das wird beispielsweise auch eindrücklich durch die Zahl belegt, dass über ein Drittel der im Baselbiet wohnhaften Personen über einen Migrationshintergrund verfügt.
Sie sind seit 2014 Integrationsdelegierter, haben Ihre Stelle zeitgleich mit dem ersten schweizweiten KIP (Kantonalen Integrationsprogramm) angetreten. Wie hat sich die Integrationsarbeit seither verändert?
Ich glaube, die Pionierphase in der Integrationsarbeit ist definitiv vorbei. Am Anfang ging es darum, überhaupt erst einmal ein gemeinsames Integrationsverständnis zu definieren. In der Zwischenzeit haben sich die KIP etabliert und sind in allen Kantonen institutionalisiert. Dass die Rahmenbedingungen und strategischen Programmziele sich seit dem ersten KIP kaum verändert haben, zeugt von einer gewissen Beständigkeit, die eingetreten ist. Es war sehr sinnvoll, dass die Kantone sich auf einen einheitlichen Rahmen geeinigt haben, innerhalb dessen sie sich aber frei bewegen und eigene Schwerpunkte setzen können. Damit sind wir auch für die Zukunft auf einem guten Weg. Nebst einem Professionalisierungsschub fand aber meines Erachtens auch eine Verschiebung des Fokus statt. Während dieser früher stärker auf der Förderung von Projekten und Massnahmen lag, werden nun vermehrt die Institutionen in den Blick genommen. Um eine nachhaltige Veränderung zu bewirken, müssen die strukturellen Bedingungen dafür gegeben sein. Stichwort: Institutionelle Öffnung – also der diskriminierungsfreie Zugang zu sämtlichen öffentlichen Dienstleistungen aber auch die Zusammensetzung des Personals, etwa in der öffentlichen Verwaltung. Hier sehe ich einen wichtigen Schwerpunkt für die kommenden Jahre, wobei für den Fachbereich Integration auch die Förderung von lokalen Projekten und Programmen weiterhin wichtig sein wird.
Welche Integrationsthemen bereiten Ihnen aktuell schlaflose Nächte?
Aktuell beschäftigt mich, dass wir parallel an drei KIP arbeiten; also eines abschliessen, eines umsetzen und ein drittes planen. Daneben treiben mich einige Pilotprojekte um und die Aufgabe, die diversen Player im Integrationsbereich zusammenzubringen und auf ein ähnliches Wissensniveau zu bringen. Obwohl der Fachbereich Integration (FIBL) «nur» für den sogenannten «Ausländerbereich» zuständig ist, liegt mir auch das Thema Asyl und Flucht auf dem Magen; insbesondere die nachhaltige Integration dieser Menschen in den Arbeitsmarkt. Hier gibt es sicherlich noch Luft nach oben. Ich bin sehr froh, dass sich mit der Integrationsagenda Schweiz seit 2019 in diesem Bereich viel getan hat.
Vor dem FIBL waren Sie über zehn Jahre beim damaligen Amt für Migration BL tätig. Wie hat sich Ihr Blick auf die Integration mit Ihrem Funktionswechsel verändert?
In der Integration wird gerne von «Fordern» und «Fördern» gesprochen. In diesem Dualismus ist das Amt für Migration und Bürgerrecht (AFMB) stärker auf der Fordern-, der Fachbereich Integration stärker auf der Fördern-Seite. Das AFMB bezieht sich auf das Gesetz und der Fokus liegt stärker auf Personen mit einem Integrationsdefizit. Beim FIBL steht das Fördern im Fokus. Es geht weniger um Entscheide in einzelnen Fällen, sondern um eine Suche nach Ressourcen, Potenzial und auch nach dem Bereichernden und Belebenden, das durch Migration entsteht. Probleme, die es selbstverständlich auch gibt, werden dabei auch angegangen. Schlussendlich geht es darum, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit alle Personen, die das möchten, sich integrieren können. Ich persönlich bin überzeugt, dass eine Integration unter Zwang zwar ein Stück weit möglich ist, aber aus eigenem Antrieb und mit Motivation bedeutend einfacher und vor allem nachhaltiger gelingt. Hier möchten wir ansetzen. Was feststeht: Ich fühle mich privilegiert, weil ich mich hauptberuflich mit Fragen zu aktuellen Themen wie Integration und Migration beschäftigen kann. Themen, die mich seit jeher interessieren.
Wo stehen wir im Kanton Basel-Landschaft im Hinblick auf die Integration?
Soweit ich das überhaupt einschätzen kann, glaube ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Dabei spielen vermutlich auch das restriktive Einreiseregime, der Wohlstand und der gut funktionierende Arbeitsmarkt der Schweiz eine Rolle. Gerade in Bezug auf die Integration ist es zudem auch nicht unwesentlich, ob man in einer Stadt oder auf dem Land wohnt. Auf dem Land ist das Interesse daran, sich zu integrieren, allenfalls grösser, weil das Umfeld das stärker einfordert. Die Integrationsarbeit selbst ist in der städtischen Bevölkerung, Verwaltung und Politik vielleicht weniger bestritten. Ich empfinde es aber nicht so, dass die Integration nicht gewünscht ist, sondern dass stärker an die Eigenverantwortung appelliert wird.
Im November haben wir im Baselbiet über das aktuelle KIP (KIP 2bis, 2022-2023) abgestimmt. Wie haben Sie den Abstimmungskampf wahrgenommen?
Es bestand eine gewisse Unsicherheit darüber, wie das Baselbieter Stimmvolk abstimmen würde. Wir haben im Vorfeld immer wieder gemerkt, wie schwierig sich die Kommunikation gestaltet: Was ist das KIP und wer profitiert davon? Da die BL-Gemeinden so unterschiedlich betroffen sind, war unklar, wie das Stimmvolk schlussendlich abstimmen würde. Im Team habe ich die Monate vor der Abstimmung als besondere Zeit empfunden. Der FIBL hat sich nicht aktiv am Abstimmungskampf beteiligt aber ihn sehr eng beobachtet. Es war für uns das erste Mal, dass über eine Abstimmungsvorlage abgestimmt wird, die den Fachbereich unmittelbar betrifft. Das war natürlich sehr spannend und zum Teil auch nervenaufreibend, auch wenn ich den Abstimmungskampf – rückblickend - als eher lau empfunden habe. Als am Abstimmungssonntag dann das Resultat von 58.9% feststand, war ich überglücklich, dass der Baselbieter Souverän sich so klar für das KIP und die Integrationsarbeit im Kanton ausgesprochen hat. Die Baselbieter Gemeinden sind sehr unterschiedlich von der Integrationsthematik betroffen und schätzen ihre kommunalen Freiheiten. Sie sind sich gewohnt, Herausforderungen auch selbst anzugehen und zu lösen. Es waren schliesslich auch die kleineren und ländlichen Gemeinden, die ein Nein eingelegt haben. Ich finde das ein Stück weit nachvollziehbar, da die Betroffenheit tatsächlich nicht überall gleichermassen gegeben ist.
Gibt es Integrationsgeschichten, die Sie besonders berührt oder geprägt haben?
Vielleicht bezugnehmend zum emotionalen Aspekt der Integration: Ich kenne eine Person, die aus meiner Sicht wirklich sehr erfolgreich integriert ist. Sie war von Anfang an sehr motiviert, hat sofort Deutschkurse besucht, war beruflich und auch sozial ambitioniert. Sie hat mir erzählt, dass sie sich trotz objektiven Erfolg zu Beginn phasenweise sehr einsam fühlte und einfach keine Mittel fand, sich aus dieser Einsamkeit zu lösen. Das ist mir sehr geblieben, weil es diese Diskrepanz aufzeigt zwischen der Integration gemäss Gesetz und diesem subjektiv empfundenen Zugehörigkeitsgefühl. Eine erfolgreiche und nachhaltige Integration bleibt für Neuzugezogene eine Herausforderung, derer wir, als hier sozialisierte Menschen, uns teilweise zu wenig bewusst sind.