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- Ausgabe Juni 2022
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Perspektiven: Geflüchtete aus der Ukraine
«Die rasch ansteigenden Zahlen an Geflüchteten - im März und April kamen wöchentlich mehr Personen in den Asylbereich im Kanton als im ganzen letzten Jahr - stellt insbesondere die administrativen Abläufe vor grosse Herausforderungen.» - Interview mit dem Leiter des Kantonalen Sozialamts Fabian DinkelInterview: FIBL, Foto: Fabian Dinkel
Herr Dinkel, wie ist die aktuelle Situation im Kanton Basel-Landschaft in Bezug auf die Geflüchteten aus der Ukraine?
Aktuell befinden sich etwas über 2’000 geflüchtete Personen aus der Ukraine im Kanton Basel-Landschaft. Damit gehört der Kanton zu jenen mit einer überproportionalen Anzahl an Geflüchteten aus der Ukraine. Dies ist in erster Linie auf die grosse Anzahl an Privatunterbringungen zurückzuführen: Bereits zu Beginn der Krise haben viele Privatpersonen im Kanton Geflüchtete bei sich aufgenommen. Diese Aufnahme erfolgte oft unabhängig vom regulären Zuweisungsprozess und wurde von staatlicher Seite nicht gesteuert.
Von März bis Ende April 2022 wurden dem Kanton täglich bis zu 50 Personen zugewiesen, von denen die meisten privat untergebracht waren. Ab Mai sind diese Zahlen gesunken. Einerseits hat der Bund wieder stärker kontrollierend eingegriffen und Personen auf die verschiedenen Kantone verteilt, andererseits gingen auch die Einreisen in die Schweiz von Personen aus der Ukraine zurück. Aktuell sind es noch zwischen drei und zehn Personen aus der Ukraine, die täglich dem Kanton zugewiesen werden.

Fabian Dinkel
Seit dem 1. Januar 2022 ist Fabian Dinkel Leiter des Kantonalen Sozialamts. Zuvor hatte er die Funktion als wissenschaftlicher Mitarbeiter (2018) und als Leiter der Abteilung «Projekte» (2020) beim Kantonalen Sozialamt inne. Er hält einen Bachelorabschluss in Geschichte und Philosophie und einen Masterabschluss in «Political, Legal and Economic Philosophy (PLEP)».
Was waren zu Beginn die Herausforderungen und welche Lösungen wurden in der Zwischenzeit gefunden?
Die rasch ansteigende Anzahl an Geflüchteten - im März und April 2022 kamen wöchentlich mehr Personen in den Asylbereich im Kanton als im ganzen letzten Jahr - stellt insbesondere die administrativen Abläufe vor grosse Herausforderungen. Die Registrierung, die Aufnahme in die sozialhilferechtliche Unterstützung, die angemessene Unterbringung etc. waren alles Bereiche, in denen Kanton und Gemeinden stark gefordert waren. Auch warf der erstmalig angewendete Schutzstatus S verschiedene rechtliche Fragen auf, die es zu klären gab.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, waren auf verschiedenen Ebenen Massnahmen nötig. In den Gemeinden wurde sehr viel unternommen, um Unterbringungsplätze bereitzustellen und die Aufnahme in die sozialhilferechtliche Unterstützung zu gewährleisten. Aufseiten des Kantons wurden ebenfalls vielzählige Massnahmen ergriffen: Es wurde etwa ein kantonales Erstaufnahmeheim in Laufen eröffnet, die Unterstützung und die Beratung der Gemeinden auf telefonischem und schriftlichem Weg wurden verstärkt, mehr Ressourcen für die Bewältigung des administrativen Aufwands bereitgestellt sowie Angebote im Bereich der Sprachförderung oder der Beratung von Gastfamilien geschaffen.
Viele der geflüchteten Menschen sind aktuell privat untergebracht. Was ist in dieser Hinsicht im Kanton für die Zukunft geplant?
Die Unterbringung bei Privaten stellt sowohl eine Unterstützung als auch eine Herausforderung dar: Oft ist es nicht klar, wie lange eine solche Unterbringung andauern wird. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Übergangslösung. Wenn eine Unterbringung bei Privaten nicht mehr möglich ist, dann muss die Gemeinde rasch eine Alternative bieten können. Dies ist nicht immer einfach.
Aus Sicht des Kantons geht es in Zukunft darum, die private Unterbringung nachhaltiger auszugestalten. In diesem Zusammenhang wird die kantonale Asylverordnung angepasst. Neu soll die Unterbringung bei Privaten als eine reglementierte Unterbringungsart in die Verordnung aufgenommen werden. Die Anpassung sieht vor, dass einerseits Gastfamilien ein finanzielles Entgelt erhalten, wenn sie Personen aufnehmen: 220 Franken für eine Person; für jede weitere Person zusätzlich 150 Franken und ab vier Personen 670 Franken. Andererseits ist der Erhalt dieses Entgelts an gewisse Auflagen geknüpft. Vorgängig wird eine Gastfamilie durch die betreuende Gemeinde geprüft. Es wird unter anderem geschaut, ob die Unterkunft eine angemessene Grösse hat oder ob ein einwandfreier Strafregisterauszug besteht. Zwischen Gemeinde und Gastfamilie wird eine Rechtsbeziehung hergestellt, die bis anhin so nicht existiert hat. Insgesamt wird die Privatunterbringung als beständige Unterbringungsform von Geflüchteten geregelt. Diese wird nicht nur für Personen mit Schutzstatus S, sondern für den ganzen Asylbereich gelten.
Welche Integrationsmassnahmen sind vorgesehen und wie werden sie finanziert?
Grundsätzlich haben Personen mit Schutzstaus S im Kanton Basel-Landschaft den gleichen Zugang zu den sozialhilferechtlichen Integrationsangeboten wie andere Personen aus dem Flüchtlingsbereich resp. der Sozialhilfe. Dazu gehören in erster Linie Sprachkurse, aber auch andere Förder- und Beschäftigungsprogramme. Der Kanton hat zudem gemeinsam mit Anbietenden von Sprachkursen ein spezifisch auf die Geflüchteten aus der Ukraine zugeschnittenes Kursangebot geschaffen. Wenn die Angebote durch den Kanton anerkannt worden sind, können die Gemeinden die Kosten für die Kurse, in die sie die Geflüchteten zugewiesen haben, mit dem Kanton abrechnen. Der Bund stellt dem Kanton in diesem Zusammenhang Gelder zur Verfügung, die aktuell einen grossen Teil der kantonalen Ausgaben decken.
Der Schutzstatus S ist rückkehrorientiert. Gleichzeitig sollen die Menschen so rasch wie möglich die Sprache lernen und in das hiesige Schulsystem respektive den hiesigen Arbeitsmarkt integriert werden. Wie beurteilen Sie das Dilemma zwischen der Rückkehrorientierung des Schutzstatus S und den vorgesehenen Integrationsmassnahmen?
Hier sind verschiedene Punkte zu unterscheiden. Der Schulbesuch ist letztlich ein Grundrecht und ist hier nicht in erster Linie als Integrationsmassnahme zu verstehen. Auch die Öffnung des Zugangs zum Arbeitsmarkt kann man eher als einen pragmatischen Schritt verstehen, um den Personen eine selbständige Finanzierung ihres Aufenthalts zu ermöglichen. Natürlich trägt beides auch zu einer Integration bei, ist aber nicht deren primäres Ziel.
Insbesondere bei der längerfristigen Integrationsförderung ist man aktuell zurückhaltend. Gerade weil nicht klar ist, wie sich die Situation entwickeln wird und wie lange die Personen in der Schweiz bleiben werden. Gleichzeitig will man aber auch keine Hindernisse aufbauen - also hat man viele Integrationsmassnahmen geöffnet. In erster Linie geht es um die Sprachförderung. Personen, die möglicherweise doch länger in der Schweiz bleiben, sollen früh beim Erwerb der Sprache unterstützt werden. Es soll hier nicht die Chance vertan werden, frühzeitig bei der Integration anzusetzen.
Wenn wir die aktuelle Situation mit früheren Fluchtbewegungen in die Schweiz vergleichen: Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede und wie erklären Sie sich diese?
Im Vergleich zu früheren Bewegungen fällt sicher die grosse Anzahl an Geflüchteten und insbesondere der kurze Zeitraum auf, in dem die Personen in die Schweiz kamen/kommen. Ebenfalls sind es tendenziell andere Personengruppen - grossenteils Frauen, Kinder und ältere Personen. Diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Behörden und auch die Bevölkerung stärker gefordert und involviert waren als in den vergangenen Jahren. Es gab/gibt sehr viel Solidarität. Das gab es zwar auch schon in der Vergangenheit, aber vermutlich nicht in diesem Ausmass und insbesondere nicht durch die vielen Bereiche der Gesellschaft hindurch. In Bezug auf die Ukraine spielen die geographische und kulturelle Nähe eine Rolle, aber auch die Präsenz des Konflikts in den Medien. Gleichzeitig hat man mit dem Schutzstatus S eine andere Grundlage als in der Vergangenheit.
Wie erklären Sie das grosse Engagement der Bevölkerung und der Behörden einem geflüchteten Menschen aus Afghanistan, Syrien oder Eritrea, der womöglich weniger Unterstützung erfahren hat?
Ein wichtiger Unterschied ist der Schutzstatus S. Damit sind andere Rechte und Pflichten verbunden als bspw. mit einer vorläufigen Aufnahme (Ausweis F), bei dem ein Asylverfahren durchlaufen werden muss. Es ist aber noch unklar, wie es mit dem Status S weitergeht. Vorerst ist er auf ein Jahr begrenzt. Vielleicht wird sich der Schutzstatus S als schneller widerrufbar als eine vorläufige Aufnahme herausstellen. Daher sind Vergleiche zwischen verschiedenen Personengruppen im Asylbereich schwierig und meines Erachtens auch nicht zielführend. Wir haben im ganzen Flüchtlings- und Asylwesen verschiedene Ungleichbehandlungen und abweichende Unterstützungsformen. Auch zwischen einheimischen Sozialhilfebeziehenden und Geflüchteten. Diese Gruppen gegeneinander abzuwägen, bringt wenig.
Diese Unterschiede entstehen einerseits aus Notwendigkeiten und pragmatischem Handeln heraus wie zum Beispiel die Schaffung des Schutzstatus S und dessen Ausgestaltung. Andererseits widerspiegeln die Unterschiede auch einen politischen Willen. Aus einer rein fachlichen Sicht sind solche Unterschiede nicht immer zu begründen. Es werden dadurch auch grundsätzliche Fragen zur Ausgestaltung des Asyl- und Flüchtlingswesens aufgeworfen. Inwieweit die jetzige Situation hier zu Veränderungen führt, wird sich noch zeigen.
Im Kanton Basel-Landschaft ist das Kantonale Sozialamt für die Integration der Menschen aus dem Asyl- und Fluchtbereich federführend. Sie setzt in diesem Zusammenhang die Integrationsagenda Schweiz (IAS) um.