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- Ausgabe März 2021
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Perspektiven: Identitätsfragen
Integration ist auch eine Frage der Generation. Die Schweiz-Kosovaren Emine Ahmeti (25) und ihr Cousin Gafurr Ahmeti (42), erzählen, was ihnen Herkunft und Zugehörigkeit bedeuten.
Text und Foto: Adelina Gashi*
Emine wächst in Sissach auf, wo sie auch die Schule besucht. Das Lernen macht ihr Spass. Mit manchen Mitschülern und Mitschülerinnen hat sie aber Mühe. Als Kind traut sie sich lange nicht zu sprechen, aus Angst davor, Fehler zu machen. «Ich fürchtete mich vor den Reaktionen der anderen Kinder». Sie kriegt oft zu spüren, dass sie eigentlich nicht dazu gehört. In ihrer Klasse ist sie die einzige Muslimin. «Gemobbt wurde ich nicht, aber ich habe mir immer wieder Sprüche anhören müssen. Als Kind tat das weh, ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll», sagt sie.
Vieles hat Emine erst später, mit dem Älterwerden begriffen. Damals hielt sie es für das Beste, sich einfach anzupassen. Und wenn das bedeutete, im Klassenlager wie alle anderen Kinder Schweinefleisch zu essen. «Wegen meiner Religion esse ich eigentlich kein Schwein. Aber ich wollte nicht auffallen. Darum habe ich einfach nichts gesagt und mitgegessen», erinnert sie sich. Emine war es wichtig, dazu zu gehören. Dieser Wunsch zieht sich durch ihre Schulzeit. Es wird ihr allerdings nicht leicht gemacht. Als sie später in der Sekundarschule die Minarett-Initiative im Unterricht behandeln, wird Emine für ihren Glauben von den anderen Mitschülern ausgelacht. Emine sitzt stumm an ihrem Pult und weint. Sie beschliesst damals, freiwillig zu wiederholen, um die Klasse wechseln zu können. Sie hat es satt, ständig das Gefühl zu haben, anders zu sein. Heute würde sie anders mit der Situation umgehen. «Ich hätte ihnen gerne von meiner Kultur und meiner Religion erzählt», sagt sie. Aber damals war es für sie schwierig, für sich einzustehen.
Heute steht die 25-jährige Emine kurz vor ihrem Abschluss an der pädagogischen Fachhochschule und ist Primarlehrerin. «Ich dachte früher noch: Das geht doch nicht, Albanerinnen können keine Lehrerinnen werden». Lange fehlte Emine das Selbstvertrauen. «Ich habe mich vieles nicht getraut, aus Angst, dass mein Name, meine Herkunft, Nachteile für mich bedeuten könnten.» Die Ereignisse aus ihrer Schulzeit haben Emine zugesetzt, ihre Offenheit haben sie ihr aber nicht genommen.
Emine wünscht sich, als Person gesehen zu werden. Nationalität spielt für sie eine zweitrangige Rolle, gleichzeitig sieht sie ihre Migrationsgeschichte aber auch als Vorteil: «Ich bin ein Produkt aus beiden Kulturen. Diese Einsicht war wertvoll für mich, hat mein Selbstwertgefühl gesteigert und hilft mir auch, andere Menschen besser zu verstehen», sagt sie, schüttelt den Kopf und streicht sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Angepasst zu sein, dazuzugehören, das war für Emine immer wichtig. Heute findet sie aber auch, dass Verständnis und Akzeptanz für andere Lebensweisen genauso dazugehören; Verschiedenheiten anzuerkennen und sich dabei gleichzeitig auf Gemeinsamkeiten zu konzentrieren. «Ich denke und spreche deutsch. Ich fühle mich in der Schweiz zu Hause, nicht in Kosovo.» Trotzdem ist ihre Herkunft nichts, was Emine verstecken will.
Die Identitätskrise, wie sie Emine durchmachen musste, kennt Gafurr Ahmeti nicht. In Erster Linie ist er Kosovare. «Ich denke und träume nicht auf Deutsch», sagt Gafurr.
Emines Cousin ist siebzehn Jahre alt, als er 1996 aus Kosovo in die Schweiz nach Sissach kommt. Hier lebt bereits seit einigen Jahren sein Vater, der in den 80er-Jahren als Gastarbeiter auf einer Baustelle arbeitete. Gafurr wächst in Vitia auf, einer Stadt im Osten Kosovos. Nach dem Gymnasium will er eigentlich Sprachwissenschaften studieren, daraus wird aber nichts. In der Schweiz wird sein Schulabschluss nicht anerkannt. Er schlägt einen anderen Weg ein, absolviert eine Lehre zum Kaufmann und arbeitet heute als Übersetzer und Versicherungsberater. «In Kosovo wurde mir meine Freiheit genommen, mein Leben so zu gestalten, wie ich das wollte. Ich war in meiner Handlung eingeschränkt», sagt er.
In der Schweiz ist es für ihn wichtig, zu seiner Herkunft zu stehen. «Die Menschen begegneten mir oft mit Verständnis, wenn ich ihnen von Kosovo erzähle und ihnen erkläre, was mir die Verbindung zu meiner Heimat bedeutet.» Gafurr sieht sich als Vermittler, als Träger von zwei Kulturen und vertritt diese Ansicht mit Überzeugung. «Ich empfinde das als Bereicherung. Integration bedeutet schliesslich nicht Assimilation. Von kulturellem Austausch können alle profitieren», sagt er. Für Gafurr bedeutet Integration, einen Mittelweg zu gehen, sich in einer Gesellschaft gegenseitig zu akzeptieren, ohne dass Menschen dabei gezwungen werden, Teile von sich zu verleugnen.
Die vielen Fragen um Zugehörigkeit, die Emine beschäftigten, stellten sich für ihn erst gar nicht. «Ich habe den Schweizer Pass, hier ist mein Lebensmittelpunkt, aber Kosovo ist meine Heimat», sagt er bestimmt. Die Verbindung zu Kosovo ist für ihn stärker als für Emine, die in der Schweiz geboren wurde: «Ich habe dort meine Kindheit und Jugend verbracht. Das kann ich nicht einfach vergessen». Er sieht sich darum auch in der Pflicht, seinen beiden Söhnen mitzugeben, woher sie kommen. «Für die Generation meines Vaters ging es darum, die Existenz zu sichern, für die Familie zu sorgen. Sie hatten keine Zeit, sich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen.» Die jüngeren Generationen haben es leichter, glaubt Gafurr. Sie haben Chancen, die er selbst nur beschränkt und seine und Emines Eltern überhaupt nicht hatten. Für diese Chance, für die Unterstützung, die er bei seinem Neustart in der Schweiz erhalten hat, ist Gafurr trotz dem Heimweh, das ihn manchmal überkommt, dankbar.
* Adelina Gashi ist Gesellschafts- und Politik-Reporterin beim Online-Magazin Bajour.