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Perspektiven: Integration und Wirkungsmessung
Prof. Dr. Eva Mey ist Projektleiterin Forschung und Dozentin an der ZHAW Soziale Arbeit am Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe. Ein Interview über unser Integrationsverständnis.Interview: FIBL, Foto: Eva Mey
FIBL: Frau Mey, Sie arbeiten am Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften zu Themen wie Migration, Jugendliche und soziale Ungleichheit. Was verstehen Sie persönlich unter Integration?
Eva Mey: Persönlich verbinde ich mit Integration nach wie vor die Vorstellung der gleichberechtigten, umfassenden Partizipation aller Menschen an der Gesellschaft. Es ist ein Verständnis von Integration, wie es für mich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen vor rund 25 Jahren selbstverständlich war. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir damals begeistert waren, als der Begriff der Integration endlich auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde und es den Anschein machte, dass damit einer echten Partizipation und Gleichberechtigung der Weg geebnet werde. Heute bin ich allerdings an einem Punkt angelangt, wo ich den Begriff der Integration in meiner Sprache kaum mehr gebrauche. Er ist im aktuell dominanten Sprachgebrauch derart eng mit der Vorstellung verknüpft, dass sich das «andere» Individuum einseitig bei «uns» integrieren sollte, und gleichzeitig ist dieses Verständnis schon so tief und selbstverständlich in den aktuellen Diskursen verankert, dass jede Rede von Integration Gefahr läuft, es weiter zu reproduzieren. Ich habe mir stattdessen angewöhnt, jedes Mal konsequent nachzufragen, wenn jemand von Integration spricht: Was meint er oder sie damit genau? Geht es um soziale Kontakte - zu wem genau? Geht es (auch) um politische Partizipation? Um Gefühle von Zugehörigkeit - zu was genau? Um ‘berufliche Integration’ - ab wann ist diese erreicht, reicht dazu eine Stelle als Working Poor? etc. Daraus ergeben sich dann oft gute und wichtige Diskussionen.

Eva Mey
Die Dozentin und Projektleiterin lehrt und forscht an der ZHAW Soziale Arbeit am Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte beinhalten Migration, Jugend, Soziale Ungleichheit, sowie Biographie und Sozialstaat.
Es bestehen im öffentlichen Diskurs viele unterschiedliche Definitionen von Integration. Wie erklären Sie sich diese Unschärfe?
Der Erfolg des Begriffs der Integration in der heutigen Politik gründet gerade in seiner Unschärfe: Nur diese ermöglichte es, dass sich in den Anfängen die unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Gruppierungen und Ideen in diesem Begriff wiederfinden konnten - alle konnten mit dem Begriff genau das verbinden, was ihren eigenen Interessen entsprach. Auch wenn der Konsens also nur ein scheinbarer war, machte er um die Jahrtausendwende doch den Weg frei für den Beginn einer eigentlichen staatlichen Integrationspolitik unter der Ägide des Bundes. Wenn man sich dann aber ansieht, wie sich die Gesetzgebung seit jenen Anfängen im weiteren Verlauf entwickelt hat, wird deutlich, wie jene Stimmen und Ideale (auch jene der Migrantinnen und Migranten selber), die auf Gleichberechtigung und Partizipation pochten, zunehmend marginalisiert und vom neoliberalen Kanon des Förderns und Forderns verdrängt wurden. Trotz anhaltenden Beteuerungen der Wichtigkeit von Integration als gegenseitigem Prozess wurden Ausländerinnen und Ausländer in der Gesetzgebung zunehmend einseitig adressiert, wurde der Ton verschärft, wurden Sanktionsmöglichkeiten ausgebaut - während beispielsweise das anfänglich noch zentrale Ziel der Einbürgerung und der politischen Partizipation auf der Strecke blieb. Unterschiedliche Verständnisse eines unscharfen, an sich bedeutungsoffenen Begriffes wie jenem der Integration widerspiegeln also auch gesellschaftliche Aushandlungen über die «richtige» Lesart eines Begriffes und verweisen auf spezifische Machtverhältnisse, unter denen sich dominante Deutungen über die Zeit durchsetzen können.
Im von Ihnen und Peter Streckeisen verfassten White Paper «Integration von Ausländern» stellen Sie fest, dass die Integrationspolitik zunehmend in den Dienst von ökonomischen Zielen gestellt wird. Können Sie diesen Gedanken etwas ausführen?
Die Herausbildung der Integrationspolitik, wie wir sie heute kennen, fand ja nicht im gesellschaftspolitischen Vakuum statt. Sie war eingebettet in die umfassende neoliberale Umgestaltung der Sozialpolitik, deren Kerngedanke die Aktivierung der zu integrierenden Individuen ist und jegliches Recht auf soziale Unterstützung ans Prinzip von «Leistung» und «Gegenleistung» knüpft. Hier lassen sich interessante Parallelen in der migrationsspezifischen und der generell armutsspezifischen Sozialpolitik beobachten. Hinzu kamen als Kontextfaktoren der diagnostizierte Fachkräftemangel in der Schweiz und die Fachkräfteinitiative, die plötzlich noch nicht genutzte «Potenziale» von hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern ins Blickfeld rückten. Diese Fokussierung auf nutzbare Potenziale konnte sich wohl auch deshalb so rasch durchsetzen, weil sie im Feld der Integrationsarbeit auf langjährige Bemühungen stiess, den defizitorientierten Blick auf Migrantinnen und Migranten durch vermehrte «Ressourcenorientierung» endlich zu überwinden. Die Orientierung an Potenzialen fand so auch in einem teilweise eher humanistisch geprägten Feld rasch Konsens und konnte auf breiteste Unterstützung zählen.
Nicht nur die Integrationspolitik, sondern vor allem auch die Migrationspolitik der Schweiz ist ja in hohem Masse darauf ausgerichtet, ökonomischen Nutzen aus der Migration zu ziehen, indem durch eine ausgeklügelte Gesetzgebung versucht wird, nur ausgewählte Personen und diese nur so lange in der Schweiz aufzunehmen, wie dies ökonomisch Sinn macht. Dort, wo diese Steuerung der Migration nicht möglich ist, weil man an Grund- und Völkerrechte gebunden ist - etwa im Fall von Familiennachzug aus Drittstaaten oder im Bereich Asyl - wird die ökonomische Nutzbarmachung durch eine forcierte Integrationspolitik zu erreichen versucht. Hier beobachten wir in der Folge, dass bei der Förderung vor allem in jene Menschen investiert wird, von denen man davon ausgehen kann, dass sie in der Lage sind, erfolgreich am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Es handelt sich also insgesamt um eine hoch selektive Investition in die Potenziale von Menschen.
Exemplarisch zeigt sich dies etwa in der aktuellen Integrationsagenda, die voll und ganz auf Bildung und Beruf und die Förderung jener Menschen setzt, die als «vermittelbar» gelabelt werden. Mit einem Verständnis von Integration, das wirklich umfassende gesellschaftliche Partizipation anstrebt, wäre konsequent allen, also auch weniger leistungsfähigen Personen, der Zugang zu Bildung und weiteren Angeboten zu ermöglichen, damit diese partizipieren können. Bildung also in einem weiteren Sinne verstanden, auch als Mittel zu Emanzipation. Ausserdem wären auf nationaler, kantonaler und lokaler Ebene auch Initiativen und Angebote zu fördern, die jenseits der beruflichen Sphäre im Bereich des sozialen Zusammenlebens angesiedelt sind und die zum Ziel haben, sozialen Ausschluss und Diskriminierung auf allen Ebenen abzubauen. Nebst nationaler Gesetzgebung kommt hier übrigens auch dem lokalen Kontext eine wichtige Bedeutung zu, etwa wenn Städte oder Gemeinden neue Möglichkeiten von Partizipation schaffen und dazu beitragen, ausgrenzende Diskurse zu überwinden.
Ein weiteres Zeichen von Ökonomisierungstendenzen in der Integrationsdebatte ist die Frage nach der Wirksamkeit von Integrationsmassnahmen. Kann Integrationserfolg Ihrer Meinung nach überhaupt gemessen werden?
Die Ökonomisierungstendenzen zeigen sich ja im gesamten Sozialwesen und führen zu einer Fixierung auf Kennzahlen, Erfolgsquoten und Ratings. Auch hier zeigt sich ein Verständnis, wonach Integration einseitig gesteuert, gemanagt und kontrolliert werden kann. Integration lässt sich jedoch weder steuern noch messen, handelt es sich doch um einen hochkomplexen Prozess, der die Gesellschaft als Ganzes umfasst, nie abgeschlossen ist und damit auch keinen «Endpunkt» hat. Wir können aber durchaus untersuchen, wer in einer Gesellschaft wie partizipieren darf, wem also welche wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Rechte zugestanden werden.
Im White Paper kritisieren Sie Integrationsindices, die beispielsweise Auskunft über den Integrationsgrad einer Nationalität geben. Welche Instrumente sind besser dafür geeignet, aufzuzeigen, wo noch Handlungsbedarf besteht?
Auch hier: Solche Integrationsindices sind deshalb gefährlich, weil sie Präzision und Messbarkeit vorgaukeln, wo diese nicht möglich sind. Migrantinnen und Nicht-Migranten lassen sich nicht fein säuberlich voneinander trennen und in ihrer unterschiedlichen Eigenart vermessen - hier wird von grundlegend falschen Prämissen ausgegangen. Erst wenn anerkannt wird, dass Migration wesentlich für unsere Gesellschaft ist und unsere zentralen Institutionen prägt, wird es möglich, den Blick von den Migrantinnen und Migranten weg und hin zu den grundsätzlichen gesellschaftlichen Mechanismen zu lenken, die Teile der Bevölkerung systematisch diskriminieren. Die Problematiken sind tief in unsere zentralen Institutionen eingeschrieben und dort zu bearbeiten. Ich spreche hier von fehlenden politischen Rechten für einen Viertel der Bevölkerung, von längst bekannten Selektionsmechanismen in der Volksschule, von Niedrigstlohnbranchen, die kein existenzsicherndes Einkommen garantieren und in denen massive arbeitsrechtliche Missstände herrschen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf die Integrationsdebatte?
Zunächst ist festzuhalten, dass eine so genannte Integrationsdebatte, in der ein Teil der Bevölkerung darüber diskutiert und bestimmt, ob und wie sich der andere Teil integrieren darf und soll, absurd ist. In die Debatte darüber, was unter gesellschaftlicher Integration zu verstehen ist und wie sie aussehen könnte, sind alle einzubeziehen - auch jene, die unter uns leben und arbeiten, mit ihrem unsicheren oder illegalisierten Ausländerstatus aber so wenig Rechte haben, dass sie kaum je sichtbar werden. Es braucht eine Debatte, die sich der engen Verknüpfung von Migrations- und Integrationspolitik mit struktureller und institutioneller Diskriminierung stellt und die systematisch aufarbeitet, wo im Dienste der Abwehr von «ungewollter» Migration Grundrechte verletzt werden - sei dies in der Schweiz oder auch im globalen Kontext, mit dem wir aufs engste und in vielfacher Weise verflochten sind. Wenn wir in der Gestaltung einer gleichberechtigten und solidarischen Gesellschaft einen Schritt weiter kommen wollen, kommen wir alle nicht darum herum, uns mit unserer je eigenen Position im (globalen) Machtgefüge und mit unserer eigenen Rolle in Mechanismen des sozialen Ausschlusses konsequent auseinander zu setzen.