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Unsere Spezialistinnen und Spezialisten für Sexualdelikte
Die Bearbeitung von Sexualdelikten und Delikten häuslicher Gewalt können für die Mitarbeitenden der Staatsanwaltschaft sehr belastend sein. Wie man als Staatsanwalt mit diesem Thema umgeht, wie die heutige Bilderflut Strafuntersuchungen verändert hat und ob es noch Taten gibt, die selbst ihn überraschen, erklärt Mark Balke, Leiter des Kompetenzbereichs Sexualdelikte und häusliche Gewalt, im folgenden Interview.von Mark Balke, Staatsanwalt, Leiter Kompetenzbereich Sexualdelikte und häusliche Gewalt, und Marilena Baiatu, Kommunikationsbeauftragte
Mark, du leitest den Kompetenzbereich Sexualdelikte und Delikte häuslicher Gewalt der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft. Weshalb hat die Staatsanwaltschaft diesen Kompetenzbereich geschaffen?
Für die Staatsanwaltschaft haben diese Delikte eine hohe Priorität. Es gibt eine sehr hohe Dunkelziffer dieser Fälle in der Schweiz und gerade Sexualdelikte werden oftmals nicht zur Anzeige gebracht. Studien haben gezeigt, dass Frauen sich auch deshalb nicht an die Polizei wenden, da sie Angst haben, dass man ihnen nicht glaubt oder sie kein Vertrauen in den Rechtsstaat haben. Gleiches gilt natürlich auch für männliche Opfer. Und genau hier möchten wir entgegenwirken! Durch unseren Kompetenzbereich haben wir spezialisierte Staatsanwältinnen, Staatsanwälte und Untersuchungsbeauftragte, welche regelmässig mit Opfern von Sexualdelikten sprechen und so auch wissen, auf was sie achten müssen. Dadurch können unsere Spezialistinnen und Spezialisten Retraumatisierungen vermeiden und einen empathischen, positiven Umgang mit den Opfern sicherstellen. Dies ist auch eines der zentralen Anliegen der Istanbul Konvention, die wir konsequent umsetzen. Weiter gibt es im Kanton Basel-Landschaft, wie in etlichen anderen Kantonen auch, eine relativ tiefe Verurteilungsquote bei Sexualdelikten. Eine Verbesserung der Qualität der Strafverfolgung bei Sexualdelikten und Delikten häuslicher Gewalt ist ohne Spezialisierung kaum zu erzielen.
Von wie vielen Delikten pro Jahr sprechen wir in diesen Bereichen?
Wir verzeichneten im letzten Jahr rund 300 Delikte im Bereich der häuslichen Gewalt und 145 Sexualdelikte im Kanton Basel-Landschaft. Aber wir reden hier von sehr unterschiedlichen Fällen. Im Bereich der häuslichen Gewalt haben wir Delikte von Ehrverletzungen bis hin zu Tötungen. Und auch bei den Sexualdelikten haben wir eine grosse Bandbreite von sexuellen Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen. Rund 50 bis 100 dieser Fälle sind umfangreicher, das bedeutet, dass wir hier mehr Beweiserhebungen wie beispielsweise Einvernahmen machen. Diese Fälle dauern entsprechend auch länger.
Mir ist es aber auch immer wichtig, diese Zahlen in Relation zu setzen. Der Kanton Basel-Landschaft hat knapp 300'000 Einwohnende. Jedes einzelne dieser Delikte ist eines zu viel. Aber bei knapp 450 Delikten pro Jahr leben wir hier immer noch in einem sicheren Kanton.
Im Rahmen deiner Arbeit musst du auch viel Bildmaterial sichten, was emotional belastend sein kann, so beispielsweise kinderpornografisches Material. Anschliessend sitzt du der Person gegenüber, die beschuldigt wird, das Material erstellt oder konsumiert zu haben. Eine herausfordernde Situation. Wie gehst du damit um?
Selbstverständlich ist es nie einfach, solche Bilder zu sichten. Umso wichtiger erscheint mir deshalb die rein professionelle Herangehensweise in diesen Fällen. Letztlich geht es ja nicht um meine persönliche Befindlichkeit, sondern um meine Rolle, in welcher ich das Material sichte. Bei meiner Arbeit mache ich mir jeweils bewusst, dass ich dies weder als Privatperson noch als Richter tue, der über das, was passiert ist, juristisch urteilen muss. Ich bin Staatsanwalt, der im Auftrag des Staates Beweise sammelt und versucht, möglichst verwertbar und überzeugend herauszufinden, was passiert ist und ob die Person, die später in der Einvernahme vor mir sitzt, die Tat begangen hat oder nicht. Im Vordergrund steht immer die Unschuldsvermutung, selbst bei jemandem, der geständig ist. Und die Unschuldsvermutung ist die Prämisse, die über allem steht. Namentlich eine persönliche moralische Wertung hat schlichtweg keinen Platz und steht mir auch nicht zu.
Ich glaube, es ist wichtig, hier stets sauber zu trennen. Es gibt meine persönliche Ebene ausserhalb der Bürozeiten, wo ich auch meine persönliche Moral habe. Als Staatsanwalt bin ich aber ein Funktionär dieser Behörde. Ich bin hier vom Staat angestellt und habe einen Auftrag, der demokratisch abgesichert ist. Dieser Auftrag des Volkes ist es, den staatlichen Strafverfolgungsanspruch durchzusetzen und eine Strafgerechtigkeit anzustreben. Für uns Staatsanwältinnen und –anwälte gibt es nur eine Massgabe, und das ist die, die im Gesetz steht.
Eine weitere herausfordernde Situation ist sicherlich die Befragung von Opfern von Sexualdelikten. Unterscheidet sich hier deine Befragungstechnik von anderen Befragungen?
Grundsätzlich gibt es für mich zwei Sorten Befragungen. Die eine ist die von der beschuldigten Person. Da geht es darum, rein juristisch, dieser Person das rechtliche Gehör zu gewähren. Und das andere sind alle anderen Einvernahmen, die ich ja mache, um Beweise zu sammeln und Informationen zu gewinnen. Dies gilt für alle Deliktarten, für Diebstähle genauso wie für Sexualdelikte. Und hier wende ich eine ganz andere Fragetechnik an, denn mein Ziel ist, dass mein Gegenüber mir etwas erzählt. Die Schwierigkeit ist hier primär, eine offene Einstiegsfrage zu stellen. Im Idealfall erhalte ich dann eine Erzählung, die alles beinhaltet, was ich wissen muss. Parallel dazu muss ich rekapitulieren, ob ich alles habe, was ich brauche, um eine Anklageschrift im Sinne von Art. 325 StPO formulieren zu können.
Beim Sexualstrafrecht muss ich diesbezüglich wissen, was die jeweiligen Voraussetzungen der Straftatbestände sind. Mit dem neuen Sexualstrafrecht ist zum Beispiel von Bedeutung, ob es zu einer Penetration gekommen ist oder nicht, da dies unterschiedliche Tatbestände sind mit unterschiedlicher Strafdrohung. Im Idealfall erzählt mir dies das Opfer von selber, ohne dass ich nachfragen muss. Rein technisch gesprochen, ist es also sehr wichtig, dass ich gegebenenfalls wirklich diese Detailfragen stelle. Zugleich bin ich von Gesetzes wegen verpflichtet, Opfer zu schützen und namentlich eine Retraumatisierung zu verhindern. Dort haben wir ein Dilemma, wo ich eine Güterabwägung vornehmen und entscheiden muss, in welchen Fällen ich für die Beweisführung «unangenehme» Nachfragen zum sexuellen Vorgang stelle oder darauf verzichte. Und das finde ich, ist eine der grössten Schwierigkeiten bei einer Opfereinvernahme. Daher ist es in diesen Einvernahmen ebenfalls wichtig, die richtigen Worte zu wählen und ein «Victim Blaming» um jeden Preis zu verhindern.
Heute sind Bilder und Videos in unserer Gesellschaft omnipräsent und die Qualität von Handyaufnahmen wird immer besser. Hat sich deine Arbeit – gerade im Bereich der Sexualdelikte – mit dieser zunehmenden Bilderflut verändert?
Was sich verändert hat, ist die Menge des zu sichtenden Materials. Wenn man ein Handy auswertet, muss man viel mehr sichten und auch mehr herausfiltern als früher. Hinter jedem Bild stecken auch extrem viele Informationen. Ein Bild kann zum Beispiel Aufschluss über meinen Tagesablauf geben. Es kann ein Alibi sein. Oder ein Beweis, dass ich an dem Ort war, an dem ich an diesem Tag ein Foto gemacht habe. Bei dieser riesigen Datenflut ist es enorm anspruchsvoll, relevante Daten aus dem Handy herauszuziehen. Dabei muss man manchmal um eine oder zwei Ecken denken.
Manchmal muss man sich auch den ganzen Chat vor dem Treffen anschauen. Und dort gibt es so viele Interpretationsspielräume. Manchmal sieht man, dass ein Telefonat stattgefunden hat, weil der Gesprächsfluss schriftlich abbricht. Man kann sich dann nicht immer sicher sein, in welchem Kontext die Chats stehen. Oder es kommt schliesslich die Nacht, in der die Straftat passiert sein soll und am nächsten Tag geht die Konversation zwischen dem Beschuldigten und dem Opfer weiter. Für die Beweisführung hofft man dann, dass die beiden auf die möglicherweise nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen irgendwie Bezug nehmen. Diese Interpretation der Handydaten ist wirklich schwierig. Es ist nie glasklar. Und das gilt selbst für Videos mit sexuellen Handlungen. Dass man dann einen glasklaren Videobeweis einer Vergewaltigung hätte – das gibt es praktisch nicht.
Was sich auch verändert hat und die Strafverfolgung verkompliziert, ist, dass heute oftmals künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Doch das ist ein Thema für sich und würde den Rahmen des Gesprächs wohl sprengen.
Du machst diesen Job nun schon einige Jahre. Gibt es Taten, die selbst dich noch überraschen?
(überlegt) Ja, das gibt es tatsächlich. Meine Fantasie ist nie gross genug, um sich alles auszumalen, was man machen kann. Ich glaube, es liegt daran, dass jeder Fall – gerade bei Sexualdelikten – anders ist. Es gibt praktisch keine Blaupausen, sondern immer zumindest eine Nuance, die anders ist. So gesehen könnte man sagen, dass es Delikte gibt, die mich überraschen, wenn das das richtige Wort ist. Schlussendlich nehme ich aber alles nur zur Kenntnis und muss sagen: Eigentlich erstaunt es mich dann doch nicht.
Die Delikte, die in dein Zuständigkeitsgebiet fallen, können sehr belastend sein und schlussendlich könntest du dir dein Leben einfacher machen. Wieso «tust du dir das an»?
Mich interessierte schon immer der Mensch als Solches. Mich interessieren menschliche Lebensläufe und menschliche Verirrungen. Im Jurastudium konnte ich mich auch sehr für verfassungsrechtliche Themen begeistern: Wie funktioniert der (Rechts-)Staat? Das finde ich etwas unglaublich Spannendes. Aber ich glaube, wenn man als Jurist etwas über das Leben und über das Wesen des Menschen herausfinden möchte, gibt es (fast) nur das Strafrecht. Dort bist du so nahe am Leben und an den menschlichen Schicksalen dran. Das ist das, was mich vermutlich immer faszinieren wird.