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Wie Kinderbefragerinnen und Kinderbefrager der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft arbeiten
Bereits seit dem Jahr 2003 verfügt die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft über die Fachstelle Kinderbefragung. Die speziell ausgebildeten Befrager/innen können zu Fällen hinzugezogen werden, in denen Kinder befragt werden müssen. Zum erfahrenen Team der Kinderbefragenden gehören auch die langjährigen Untersuchungsbeauftragten Jsabella Stingelin und Thomas Gerber. Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird die Zuständigkeit für die Kinderbefragungen von der Staatsanwaltschaft zur Polizei Basel-Landschaft wechseln. Ein guter Moment also, um mit Jsabella und Thomas über ihre Arbeit zu sprechen.von Jsabella Stingelin, Untersuchungsbeauftragte, Thomas Gerber, Untersuchungsbeauftragter, und Marilena Baiatu, Kommunikationsbeauftragte
Die Staatsanwaltschaft verfolgt Straftaten von Erwachsenen ab 18 Jahren. Und doch haben wir eine Fachstelle Kinderbefragungen. Wie kommt es dazu, dass Kinder bei uns befragt werden?
Thomas Gerber: Als ausgebildete Kinderbefragerinnen und Kinderbefrager werden wir zu Fällen hinzugezogen, bei denen Kinder und Jugendliche als Opfer befragt werden. Rechtlich gesehen, ist unsere Arbeit im Artikel 154 der Strafprozessordnung (StPO) festgeschrieben. Dort steht, dass Opfer, die jünger als 18 Jahre alt sind, von einer zu diesem Zweck ausgebildeten Ermittlungsbeamtin oder Ermittlungsbeamten einvernommen werden und die Einvernahmen in Ton- und Bildaufnahmen aufgezeichnet werden müssen.
Jsabella Stingelin: Daneben werden wir auch hinzugezogen, wenn Kinder Zeuginnen respektive Zeugen einer Straftat einer erwachsenen Person wurden. Gerade in Fällen von häuslicher Gewalt kommt dies oft vor. Inhaltlich geht es bei unseren Gesprächen um das Gleiche wie bei den Erwachsenen, also um die Beweissicherung und um die Wahrheitsfindung. Hierzu klären wir in den Einvernahmen die sieben W-Fragen ab, also wer, was, wann, wo, warum, wie und wozu.
Wie unterscheiden sich Kinderbefragungen von Einvernahmen mit Erwachsenen?
Jsabella Stingelin: Bei unserer Arbeit ist sicher speziell, dass wir etwas zur Entwicklungs- und Aussagepsychologie von Kindern wissen müssen. Bei unseren Einvernahmen ist es relevant, dass wir wissen, was ein durchschnittlich begabtes Kind in dem entsprechenden Alter in der Lage ist, zu beantworten. Dies spielt gerade bei räumlichen oder zeitlichen Angaben oder auch bei Altersbeschreibungen eine Rolle.
Thomas Gerber: Zudem achten wir sehr darauf, dass wir die Fragen noch offener als bei Erwachsenen formulieren. Suggestive Fragen sind grundsätzlich bei keiner Befragung erlaubt, bei Kindern muss man sich aber nochmals speziell auf die Wortwahl achten.
Jsabella Stingelin: Das ist für mich ebenfalls sehr zentral. Kinder gehen immer davon aus, dass die Erwachsenen die Antwort auf die gestellten Fragen bereits kennen, denn sie nehmen die Kommunikation mit Erwachsenen so wahr wie in der Schule. Sie sind daher sehr viel empfänglicher für allfällige Suggestionen, denn sie wollen es den Erwachsenen recht machen. Für mich ist es deshalb sehr wichtig, dass ich dem Kind vermitteln kann, dass die Antwort wirklich nicht bekannt ist. Ich war beim Erlebnis nicht dabei und bin daher darauf angewiesen, dass mir die Kinder erzählen, was passiert ist.
Thomas Gerber: Ja, da stimme ich zu. Wichtig ist, dass man ohne vorgefasste Meinung in das Gespräch geht. Man muss wirklich offen sein und sich auch unbedingt kindgerecht verhalten. Ich glaube es ist zudem auch wichtig, dass man nahbar ist. Und man muss wirklich gerne mit Kindern reden wollen.
Bei welcher Art von Fällen werdet ihr hinzugezogen?
Thomas Gerber: Die meisten Fälle, zu denen wir hinzugezogen werden, sind sexuelle Handlungen mit Kindern, also Artikel 187 Strafgesetzbuch (StGB). Daneben haben wir auch Fälle von häuslicher Gewalt, bei denen die Kinder zu Opfer werden oder – gerade bei älteren Jungen – dass sie sich zwischen die Eltern stellen und geschlagen werden.
Jsabella Stingelin: Beim Artikel 187 StGB haben wir natürlich auch eine grosse Bandbreite. Das reicht von direkten sexuellen Handlungen bis zum Anschauen von Pornografie. Was in den letzten Jahren auch sehr zugenommen hat, ist das Verschicken von Bildern von sich, also Nacktselfies, gerade bei Jugendlichen, beispielsweise über Snapchat. Manchmal erhalten die Jugendlichen hierfür auch Geld oder werden zu Geldzahlungen genötigt, dann handelt es sich um Sextorsion. Auch kommt es vor, dass wir für die Jugendanwaltschaft Kindereinvernahmen von Opfern durchführen. Hier hatte ich auch schon Erpressungen. Das ist aber eher die Ausnahme.
Thomas Gerber: Abgesehen von Kinderbefragungen führen wir auch Videoeinvernahmen mit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung durch, wenn die Verfahrensleitung dies wünscht. Auch bei solchen Einvernahmen setzen wir auf Videos, weil wir dann erstens präsenter sind und auf die Personen besser eingehen können und zweitens, weil so die Wortwahl und die kognitiven Möglichkeiten der Person wirklich genau dokumentiert sind.
Die Staatsanwaltschaft hat für Kinderbefragungen spezielle Räume, ausgestattet mit Video- und Tonaufzeichnungsmöglichkeiten sowie einem venezianischen Spiegel. Wie läuft eine Befragung mit einem Kind ab?
Jsabella Stingelin: Für uns ist ganz wichtig, dass die Kinder wissen, was gleich passiert und wer beim Gespräch zuschaut. Daher zeigen wir ihnen zu Beginn das Zimmer und den venezianischen Spiegel. Und wir zeigen ihnen auch, face to face, wer sich im Raum hinter diesem Spiegel befindet. Das gehört zur Fairness dazu.
Thomas Gerber: Man muss sich vorstellen: Ein Kind hat etwas erlebt. Dann betritt es unser Gebäude, das auch einschüchternd ist und dann ist alles voller Erwachsener. Hinter dem Spiegel befinden sich dann noch die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt der beschuldigten Person, die Staatsanwältin respektive der Staatsanwalt und zusätzlich noch eine Psychologin oder ein Psychologe, um das Gespräch mitzuverfolgen. Das kann schon ganz schön krass wirken. Ich finde es daher wichtig, dass ich beispielsweise das Kind bereits im allgemeinen Wartebereich abhole und mit ihm zusammen den Gang nach hinten gehe. So versuche ich, diese Hemmschwelle zu durchbrechen.
Jsabella Stingelin: Und für mich gibt es einen Grundsatz: Keine Kinderbefragung mit anderen Erwachsenen im Raum. Diese müssen alle hinter dem Spiegel sein. Verzichtet die beschuldigte Person nicht freiwillig auf die Teilnahme oder wird sie nicht ausgeschlossen, schaffen wir eine räumliche Distanz. Meistens machen wir dann eine Videoübertragung in einen Raum in einem anderen Stockwerk. Denn stell dir vor, wie einschüchternd es sein muss, wenn dich nur eine dünne Spiegelscheibe von der beschuldigten Person trennt. Der Druck auf das Kind ist so schon hoch, den müssen wir nicht noch erhöhen.
Thomas Gerber: Hilfreich ist zudem, dass unsere Kinderbefragungsräume im Warteraum über Spielsachen verfügen. Dies zeigt den Kindern «Ich bin nicht das erste Kind hier». Gerade bei kleinen Kindern kann dies sehr helfen. Sehr wichtig ist auch, dass die Kinder mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch gehen.
Jsabella Stingelin: Ja, das stimmt.
Thomas Gerber: Ein guter Abschluss kann zum Beispiel sein, die Kinder zu fragen, was sie heute noch vorhaben.
Ab welchem Alter befragt ihr Kinder?
Jsabella Stingelin: Offiziell ab fünf Jahren. Aber es kommt darauf an, wie weit das Kind in seiner Entwicklung ist. Je nachdem kann man auch schon bei einem viereinhalb Jahre alten Kind einen Versuch wagen.
Thomas Gerber: Beim Stand der Entwicklung kommt es meines Erachtens nach auch darauf an, ob es sich um einen Buben oder ein Mädchen handelt. Mädchen sind oftmals weiter, daher können wir je nachdem schon früher mit ihnen sprechen.
Jsabella Stingelin: Ein Kind, das jünger ist, kann zwar sagen «es tut mir weh», doch gibt es viele Möglichkeiten, was genau passiert sein könnte. Man kann zwar fragen, «möchtest du mir erzählen, was passiert ist» und dann kommt vielleicht etwas, was man weiterverfolgen kann. Aber ein so junges Kind kann man nicht gezielt nach den sieben W-Fragen befragen. Ab fünf Jahren können die Kinder vielleicht die W-Fragen auch noch nicht klar beantworten, man kann dies aber herausspüren. Man muss auch bedenken: Je kleiner das Kind, desto weniger Zeit hast du für die Befragung zur Verfügung. Denn die Konzentrationsfähigkeit von einem fünfjährigen Kind ist noch eine ganz andere wie bei einem 17-jährigen Teenager. Bei einem fünfjährigen Kind ist beispielsweise nach 15 Minuten Schluss.
Thomas Gerber: Da gibt es lustige Beispiele von Kindern, die dann auf den Tisch klettern, mit dem Mikrofon zu spielen anfangen oder zum Spiegel gehen und Faxen machen.
Jsabella Stingelin: Ich hatte letzthin einen Achtjährigen, der hatte ADHS und sagte im Gespräch zu mir: «Ich will nicht mehr mit dir reden!». Und da natürlich auch Kinder ein Aussageverweigerungsrecht haben, nahm ich das entsprechend ernst. Ich habe ihn dann gefragt, ob er mir sagen möchte, weshalb er nicht mehr mit mir reden will. Seine Antwort war: «Mir tut der Popo weh». Daraufhin fragte ich ihn, ob er mit mir in unserem langen Gang hin und her rennen möchte und ich ihn danach nochmals fragen soll, ob er mit mir reden will. Er bejahte und so haben wir das gemacht. Auf meine Frage im Anschluss, ob er nun doch nochmals mit mir reden will, war seine Antwort dann «Ja». Das zeigt die Konzentrationsfähigkeit. Manchmal musst du dazwischen etwas Anderes mit ihnen machen.
Manchmal sind den Kindern traumatische Ereignisse widerfahren, wie geht ihr gerade mit jungen Kindern so ein Gespräch an?
Thomas Gerber: Wir haben einen Befragungsraster, der von einer Psychologin und einer Staatsanwältin ausgearbeitet wurde und an welchen wir uns strikt halten. Wir gehen in allen Fällen einheitlich behutsam vor, um die für unsere Arbeit notwendigen Informationen abzuklären.
Jsabella Stingelin: Der Einstieg in die Gespräche ist eigentlich immer gleich. Zuerst sprechen wir über ein unbelastetes Thema um zu schauen, wie das Kind grundsätzlich reagiert. Aber sehr viel Zeit haben wir mit Blick auf die begrenzte Aufmerksamkeitsspanne von etwa 15 Minuten bei einem fünfjährigen Kind ja nicht. Wir brauchen ja auch noch Zeit für die Rechtsbelehrung, die wir zwar kindgerecht durchführen, aber auch Kinder müssen ihre Rechte kennen. Und dann beginnen wir die Befragung sehr offen.
Thomas Gerber: Wir sagen den Kindern auch, dass sie jederzeit eine Pause oder auch etwas zu trinken haben können. Wie schon erwähnt ist bei jedem Gespräch auch immer eine Psychologin oder ein Psychologe anwesend, um darauf zu achten, dass in der Befragungssituation das Kindswohl nicht gefährdet wird. Wir merken aber selbst, wenn das Kind eine Pause braucht und fragen auch aktiv nach, ob es eine Pause will. Bei stark traumatisierten Kindern vielleicht noch etwas öfter.
Als Untersuchungsbeauftragte befragt ihr auch erwachsene Opfer sexueller Gewalt. Macht es für euch persönlich emotional einen Unterschied, ob euer Gegenüber minderjährig ist und wie grenzt ihr euch ab?
Thomas Gerber: Ich habe schon mehr Emotionen bei den Kindern, das muss ich sagen. Aber wir haben unsere Rolle und es gehört auch etwas dazu, dass man sich zusammenreisst. Man darf aber nicht vergessen, dass wir dazu angehalten sind, die Untersuchung neutral zu führen. Wir dürfen kein Mitleid zeigen, auch wenn vor uns beispielsweise ein kleines Mädchen sitzt und weint. Hier muss man dann einfach eine professionelle Distanz wahren. Aber da sind wir genug routiniert, dass wir das können.
Jsabella Stingelin: Ich habe grundsätzlich auch mehr Emotionen bei Kindern, aber ich befrage Kinder gerne, da sie sehr ehrlich und authentisch sind. Meistens sind es auch wirklich gute Gespräche. Was wir uns immer sehr bewusst sein müssen, ist, dass wir kein Mitleid ausstrahlen dürfen. Das ist für mich oft eine Herausforderung. Gleichwohl finde ich, dass die Kinder eigentlich oftmals froh sind, dass jemand einfach zuhört, ohne sich vorab schon ein Urteil gebildet zu haben. Bei den manchmal schrecklichen Dingen, die den Kindern widerfahren sind, kann der Gedanke daran tröstlich sein, dass unsere Arbeit hilft, eine mutmassliche Tatperson daran zu hindern, weitere Straftaten zu begehen.