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Auf der Höhe 1
Das 1920 erbaute Wohnhaus Vreede steht in erhöhter Lage südlich des Dombezirks an einem schmalen Strässchen, welches über die Kantonsgrenze hinweg zum Goetheanum führt. Das beschauliche Wohnhaus wird nach der Bauherrin, der holländischen Mathematikerin und Astronomin Elisabeth Vreede, benannt. Der Basler Architekt Hans Kessler erstellte das Wohnhaus nach einem plastischen Modell von Rudolf Steiner und Edith Maryon. Das Haus gehört zur ersten Generation der antrophosophisch gestalteten Bauten in Arlesheim.
Das zweigeschossige Wohnhaus steht mit seiner Breitseite zur Strasse und fällt durch die organischen Formen seiner Fassaden- und Dachgestaltung auf. Das Haus erhebt sich über einem längsrechteckigen Grundriss und wird über einen vorkragenden, halbrunden Vorbau mit einer gewölbten Eingangshalle im Erdgeschoss erschlossen. Dem Halbrund des Eingangvorbaus antworten auf der schmalen Südseite zwei halbrunde, über beide Geschosse geführte Erker. Die dem Dorfe Arlesheim zugewandte Nordseite öffnet sich im Erdgeschoss mit einer leicht gerundeten, gedeckten Veranda, zu der eine breite Treppe hochführt. Im Obergeschoss befindet sich hier ein Balkon. Die Ostseite öffnet sich mit einer zweiflügligen Glastüre in den Garten. Dieser umschliesst das Haus in freien Formen und wird gegen die Strasse hin von einer Buchshecke und einem breiten Gartentor abgeschlossen. Das einst mit Schieferplatten, heute mit Ziegeln gedeckte Mansarddach zieht sich an den Gebäudeecken bis tief in die Fassaden hinein, welche mit einem rauhen, grau eingefärbten Putz versehen sind. Ein durchlaufender Rundfries trennt das Obergeschoss vom Erdgeschoss. Die Räume sind mit wohlproportionierten Fenstern, die teilweise Fensterläden haben, belichtet.
Im Inneren ist das Raumprogramm sehr bescheiden und beinhaltet im Erdgeschoss Schlaf- und Wohnräume für die Bauherrin und ihre Mutter. Durch den Haupteingang erreicht man eine Diele, von der drei Zimmer sowie die Küche und ein kleiner Toilettenraum erschlossen sind. Das mittlere der Zimmer, welches sich an der südlichen Hausecke befindet, wird durch eine um 45° abgewinkelte Tür, die in eine Ecke der Diele eingebaut ist, erreicht. An der Nordwestseite führt das Treppenhaus mit Holztreppen und Holzhandlauf ins Obergeschoss. Organisch-geometrische Formen an Antrittspfosten und abgerundete Holzstreben wiederholen hier die Architekturformen des Gebäudes. Im Obergeschoss befindet sich eine weitere Wohnung. Im Haus befindet sich das originale Hausmodell, eine Gipsbüste von Elisabeth Vreede und der Haussegensspruch, den Rudolf Steiner aus Anlass der Einweihung im Jahr 1921 verfasst. Die Innenräume waren ursprünglich in kräftigen Farben nach Steiners Angaben ausgestaltet: Orange für Eingang und Treppenhaus, Violett und ein kräftiges Blau für die Zimmer und Hellblau für die Nebenräume und Küche. In den Jahren 1992-1993 wurde das Haus umfassend umgebaut. Raumaufteilung, Erschliessung und Farbgebung am Aussenbau und im Innern entsprechen teilweise nicht mehr dem bauzeitlichen Entwurf. Die Böden sind mit Tonplatten und Parkett neu belegt worden. Die Wände wurden hell verputzt.
Der Architekt und die Gestalter
Rudolf Steiner (1861-1925) war ein österreichischer Theosoph und Reformpädagoge sowie Begründer der Anthroposophie. Von 1913 bis 1922 entstand unter seiner künstlerischen Leitung in Dornach das Goetheanum als Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft und Sitz der geplanten Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Nachdem der Holzbau in der Silvesternacht 1922/23 abgebrannt war, entwarf Steiner ein zweites, grösseres Goetheanum aus Beton, das 1928, drei Jahre nach seinem Tod, fertiggestellt wurde. Im näheren Umkreis entstanden in dichter Folge ab 1915 mehrere Wohn- und Zweckgebäude im neuen organischen Baustil nach Vorgaben von Rudolf Steiner. Steiner entwarf einen Grossteil dieser frühen Bauten, zu dem auch das Wohnhaus Vreede gehört, als dreidimensionales, plastisches Modell. Das Modell zum Haus Vreede ist das einzige noch erhaltene und befindet sich bis heute im Haus.
Edith Maryon (1872-1924) war eine englische Bildhauerin. Sie gehörte, neben Marie von Sivers und Ita Wegmann, zum innersten Kreis um Rudolf Steiner und arbeitete am Modell für das Haus Vreede mit. Die Bildhauerin ist Namensgeberin der Edith Maryon Stiftung in Basel.
Der ausführende Architekt war Hans Kessler (1884-1949) aus Basel. Er wurde in Unterstrass geboren und studierte an der Bauschule des Polytechnikums. 1907 erwarb er das Diplom als Architekt. Nach Tätigkeiten in verschiedenen Architekturbüros in Zürich und Fribourg gründete er 1913 mit dem Architekten H. Kuhn die Firma Kuhn & Kessler, die in Davos und Zürich verschiedene markante Bauten errichtete.
Würdigung
Das zweigeschossige Wohnhaus Vreede gehört zur ersten Generation des nach Vorgaben von Rudolf Steiner entwickelten Architekturstils. Es zeigt exemplarisch die plastisch-organische Auffassung von Architektur, die sowohl das Gebäude wie auch die Innenräume prägt. Die sorgfältige Proportionierung des Gebäudes wie der Räume und deren plastische und farbliche Gestaltung soll ein «menschengemässes» Wohnen ermöglichen. Einen herausragenden architekturhistorischen Wert erhält das Wohnhaus Vreede durch den Umstand, dass sehr viele bauzeitliche Dokumente wie Angaben zur Farbgestaltung, Haussegensspruch, Gipsbüste der Bauherrin und das plastische Modell sich bis heute erhalten haben. Das Wohnhaus Vreede ist als wertvoller historischer Zeuge der Reformarchitektur der frühen 1920er Jahren in der Schweiz in das Inventar der kantonal geschützten Kulturdenkmäler aufgenommen worden.