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Burggasse 8
Im Zentrum des historischen Ortskerns von Muttenz, nahe der Dorfkirche St. Arbogast, steht an der Burggasse 8 ein kleines, zweigeschossiges, 1418 erbautes Haus. Das Haus liegt zusammen mit einem ähnlich grossen, auf der Westseite angebauten Haus giebelständig an jenem mittelalterlichen Strassenzug, der vom Kirchplatz den Hügel hinauf zu den drei Wartenberg-Burgen führte.
Mit einem Alter von 600 Jahren handelt es sich um den ältesten noch stehenden, nicht herrschaftlichen Profanbau in einem dörflichen Kontext der ganzen Nordwestschweiz. Das Haus ist damit ein einmaliger und wichtiger Zeuge der spätmittelalterlichen Bauweise im Baselbiet. Mit seinem Baujahr 1418 ist das bescheidene Haus noch älter als die Wehrmauer der Dorfkirche, die zwei Jahre später entstand.
Das kleine Haus heute besteht aus vier Teilen: dem etwas von der Burggasse zurückversetzt liegenden, zweigeschossigen Hauptbau von 1418, einem kleinen eingeschossigen, flachgedeckten Anbau zur Strasse sowie den beiden nach Süden anschliessenden Erweiterungen.
Der in der Grundfläche nur 6,00 × 6,70 Meter messende, zweigeschossige Hauptbau war ursprünglich ein Fachwerkbau, der als Kernkonstruktion ein Ständergerüst aus Eichenholz besitzt. Von dem heute verschwundenen Schwellenkranz aus führt in den giebelseitigen Aussenwänden je ein über die beiden Geschosse durchlaufender sogenannter Firstständer oder Hochstud bis unter den First. An den vier Ecken laufen Eckständer vermutlich vom Erdgeschoss über das Obergeschoss bis unter die Traufe durch. Die mittig in den Traufseiten stehenden Ständer dagegen sind geschossweise abgebunden und liegen im Erd- und Obergeschoss nicht direkt übereinander. Versteift wird das Gerüst mit überblatteten Kopfbändern.
Alle Aussenwände waren ursprünglich mit geschosshohen Staketen aus Kirschholz und einem Lehmflechtwerk ausgefacht. Ein Grossteil der hinteren, südlichen Giebelfassade ist im Ober- und Dachgeschoss noch in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben. Riegel, die die Wandhöhe halbieren, wie sie z.B. von den Fachwerkhäusern in Allschwil bekannt sind, fehlen hier.
Das mit 35 Grad eher flach geneigte Dach bilden über die Firstpfette gehängte Rafen (Dachsparren). Die Rafen sind unten mit Holznägeln auf die Fusspfette befestigt. Diese Fusspfetten liegen interessanterweise nicht direkt auf der Ständerkonstruktion, sondern auf einem Lehmwulst. In den Giebeldreiecken liegen Langbänder oder Sperrrafen, die mit dem Ständerbau verbunden sind.
Die Rafen bestehen zumeist aus grob zugebeilten Stämmen der Wild- oder Vogelkirsche. Es wurde also verbaut, was der lokale Wald hergab. Andererseits wurden aber auch Balken und Bretter verwendet, die von weiter her kamen. So weisen mehrere Deckenbalken des Erdgeschosses sowie einige der darüber gelegten Bretter Bohrlöcher auf, die vom Zusammenbinden für den Wassertransport zeugen. Das Vorkommen von Flösserholz wirft noch unbeantwortete Fragen zur Wirtschaftsgeschichte, zu den Besitzverhältnissen und der Waldnutzung auf. Die flache Dachneigung spricht für eine Holzschindeldeckung. Zu unbekannter Zeit wurden die Schindeln durch ein einfach gelegtes Biberschwanzziegeldach ersetzt.
Das im Erdgeschoss wohl nur aus einem Raum bestehende Haus war anscheinend an der Ostseite mit einer Feuerstelle ausgestattet. Eine breite Fase an einem Deckenbalken bezeugt eine entlang der Westwand ins Obergeschoss führende Innentreppe. Das Obergeschoss besass eine durch eine Ständer- oder Bohlenwand strassenseitig abgetrennte Kammer und einen Vorraum. Die Wohnkammer war mit einem massiven Gussboden aus Lehm belegt.
Rund 200 Jahre nach dem Aufrichten des Ständerbaus wurden 1603 die strassenseitige Giebelfassade, die Trauffassade sowie das Erdgeschoss der Rückseite mit einem steinernen Mauermantel umschlossen. Das Flechtwerk wurde dazu entfernt und jeweils Mauern, die innen bündig an das Holzgerüst anschliessen, hochgezogen. Die Holzständer wurden bis auf die untersten Partien stehengelassen, die wohl morsche Grundschwelle entfernt. Hier wird die im Spätmittelalter einsetzende «Versteinerung» ländlicher Wohnbauten deutlich.
Der strassenseitige, einraumgrosse Anbau, dessen Funktion unklar bleibt, entstand noch vor 1678, denn er ist auf einer Feldskizze des Geometers Georg Friedrich Meyer bereits dargestellt. Für die erste südseitige Erweiterung von 1813 wurde ein Holzbau mit gemauertem Unterbau errichtet. Dieser findet erstmals 1819 Erwähnung in den Brandlagerbüchern: „wegen einem kleinen Stüblin, samt Heubühne“. Die Fassade des Ursprungsbaus wurde durch diesen Erweiterungsbau verdeckt; sie hatte also 400 Jahre lang der Witterung getrotzt. Auf dem gemauerten Erdgeschoss des Anbaus wurde ein Ständergerüst aus Nadelholz mit stehendem Stuhl errichtet. Das Erdgeschoss enthält einen Neben- und einen Kellerraum. Der schopfartige Ausbau des Ober- und Dachgeschosses lieferte zusätzlichen Lagerraum. Die dritte und letzte Erweiterung, die um 1875 entstand, schliesst erneut im Süden an. Das gemauerte Erdgeschoss beherbergt die Waschküche. Das schopfartige Obergeschoss ist mit einem quer gestellten Pultdach gedeckt.
Auch der Hauptbau blieb nicht ohne Änderungen. So wurde im Laufe der Zeit das Erdgeschoss unterteilt. Es erhielt eine Küche und einen Kachelofen, der den Wohnraum beheizte. Der Rauch zog nun nicht mehr durch eine Öffnung in der Giebelwand ab, sondern durch einen Kamin. Der Kachelofen wurde im 20. Jahrhundert zuerst durch einen neuen Kachelofen, dann durch einen freistehenden Zimmerofen ersetzt. Eine neue, gewendelte Treppe führt ins Obergeschoss und Fenster wurden vergrössert. Nur das Dachgeschoss blieb unverändert, wobei unklar bleibt, wie es ursprünglich erschlossen war.
Neben grossen Teilen des Ständergerüsts, der fast vollständig erhaltenen Dachkonstruktion und der im oberen Bereich gegen Süden noch immer vorhandenen Lehmfassade – alles Bauteile von 1418 – haben sich im Innern des Kernbaus weitere historische Oberflächen erhalten, so ein wohl ursprünglicher Lehmestrich, der als Fussboden des 1. Obergeschosses diente, bis er mit einem Bretterboden abgedeckt wurde, sowie alte Verputze und Verkleidungen aus Holz.
Die gute Erhaltung des Bauwerks erlaubt einen einmaligen Einblick in die bescheidenen spätmittelalterlichen Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Auf einer Skizze des Geometers Georg Friedrich Meyer von 1678 sind entlang der Burggasse mehrere auffällig schmale, giebelständige Gebäude vermerkt. Vielleicht widerspiegeln sie schlicht die Bauweise des späten Mittelalters, die hier bis zu Meyers Zeiten erhalten geblieben ist, während die Hauptstrasse und das Oberdorf sich weiter entwickelt und verändert haben.
Das Gebäude ist eine der letzten Bauten mit intakten, funktionierenden Hochstüden. Diese Hochstudbauten wurden ab dem späteren 16. Jahrhundert aufgrund der obrigkeitlichen Brandschutzvorschriften zunehmend durch Steinbauten ersetzt und verschwanden. Ebenso repräsentiert das Haus den Versteinerungsvorgang exemplarisch.
Das Gebäude verkleinert die Forschungslücke zwischen den lediglich durch Ausgrabungen erfassten Hausbefunden des Mittelalters bis ins späte 14. Jahrhundert sowie den bisher ältesten erforschten Steingebäuden des Baselbiets aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Konstruktion des ursprünglichen Baus ist zudem die Urform unserer Fachwerkhäuser und ein Zeugnis mittelalterlicher Bautradition. Das Haus Burggasse 8 bietet so ein einmaliges Zeitfenster in das späte Mittelalter.