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SBB Bahnareal 9
Aufgrund der nach dem ersten Weltkrieg auftretenden Raumknappheit in der Stadt Basel sowie des zunehmenden Güterverkehrs stellten die Schweizer Bundesbahnen 1919 den Antrag auf die Verschiebung des Güter- und Rangierbahnhofs Wolf in das weniger dicht bebaute Muttenz. So entstanden zwischen 1924 -1929 auf dem Muttenzerfeld südlich des Personenbahnhofs die damals grösste Rangieranlage und der wichtigste Importbahnhof der Schweiz.
Im Rahmen dieses Projekts entstand auch das Dienstgebäude Süd, welches 1931 fertig gestellt wurde. In Ost-West Richtung erstreckt es sich zwischen den Geleisen des Personen- und Güterbahnhofs, wobei die nördliche Hauptfassade dem Aufnahmegebäude zugewandt ist. Neben Verwaltungsräumen der SBB sowie des Zollamtes beherbergte es auch Dienstwohnungen, diverse Aufenthaltsräume und eine Kantine. Geplant wurde das Gebäude vom Schweizer Architekten Alfred Ramseyer (1884-1957). Nach dem Studium an der TH Stuttgart trat er 1918 ins Hochbaubüro der SBB in Luzern ein, welches er von 1919 bis zu seiner Pensionierung 1950 als Sektionschef leitete. In dieser Zeit entwarf er verschiedene Betriebs- und Stationsgebäude, wobei das Muttenzer Dienstgebäude als sein Hauptwerk angesehen werden kann.
Parallel zu den Geleisen erhebt sich der längliche, axialsymmetrische Bau aus der weitläufigen Anlage und markiert den Übergang zwischen Personen- und Güterverkehr. Dem dreigeschossigen Kubus liegt mittig ein verkürztes Dachgeschoss auf, aus welchem wiederum ein massiver Uhrturm hervorragt. Der Übergang von der südlichen zu der etwas längeren nördlichen Gebäudehälfte wird an den Stirnseiten des Gebäudes durch hervortretende Treppenhäuser mit halbzylindrigen, verglasten Abschlüssen kaschiert.
Die Südseite des Gebäudes zeichnet sich durch eine zwei- bis dreigeschossige, vorspringende Portalzone aus, welche durch ihre Abtreppung die Gebäudekontur wieder aufnimmt. Im Zentrum der grosszügigen Portalzone liegt ebenerdig der Haupteingang mit seinem weit auskragenden, ursprünglich von zwei Stützen getragenen Vordach. Durch die zurückhaltende Proportionierung des Eingangs wird signalisiert, dass es sich trotz der imposanten Wirkung nicht um ein öffentliches Gebäude handelt. Die unteren zwei Geschosse, welche sich über die gesamte Gebäudelänge erstrecken, weisen eine einheitliche Gliederung durch 25 Fensterachsen auf. Das schmale Dachgeschoss wird an der Südfassade von je 13 regelmässig angeordneten Fenstern belichtet und führt seitlich auf zwei weitläufige Dachterrassen. Bei der Sanierung des Gebäudes im Jahr 2009 wurden die Fenster, die damals nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form bestanden, durch originalgetreue neunteilige Sprossenfenster ersetzt. Aus dem Dachgeschoss erhebt sich der Uhrturm, der ursprünglich von einem feineren, leicht schrägen Dach bekrönt wurde. Die West- und Ostseite des Turmes ziert je eine grosse Uhr ohne Zifferblatt. In ihrer stark reduzierten Form besteht sie lediglich aus zwei schwarzen Zeigern sowie einfachen Strichen zur Stundenmarkierung. An der Südseite ist dieselbe Uhr in kleinerem Massstab angebracht.
Die horizontale Gliederung der Fassade erfolgt durch die direkt unterhalb der Fenster verlaufenden Gesimse. An den Seitenflügeln durchgehend, werden sie in der vorspringenden Portalzone unterbrochen und in einzelnen Fensterbänken fortgesetzt. Sowohl der Gebäudegrundkörper als auch das aufgesetzte Dachgeschoss finden ihren oberen Abschluss durch breite, durchlaufende Gesimsbänder. Von beiden Seiten des Gebäudes führen leicht abfallende Rampen zu den Kellerräumen unterhalb des Haupteingangs.
Die dem Güterbahnhof zugewandte Nordfassade wird dominiert durch die grosszügige Befensterung des Treppenhauses, welche das Gebäude als Fortsetzung des Turms mittig durchläuft und dadurch einen starken vertikalen Akzent setzt. Während der Westflügel durch seine 12 Fensterachsen einheitlich gegliedert ist, weist der Ostflügel Unregelmässigkeiten in der Fassadengestaltung auf und stört damit die Symmetrie des Gebäudes in der Nordansicht. So fielen die sechs dem Treppenhaus angrenzenden Fenster des Hochparterres und des 1. Obergeschosses deutlich schmaler aus - die Hälfte davon sind sogar lediglich schmale Blendfenster mit kleinen Oberlichtern. Auch die Anordnung der Gesimse wurde an der Nordfassade mit deutlich weniger Konsequenz durchgeführt.
Die Treppenhäuser an den Stirnseiten des Gebäudes werden flankiert von zwei Fensterachsen. Hier macht sich die unterschiedliche Gestaltung der Nord- und Südfassade durch die Verschiebung der Gesimshöhe bemerkbar. Im Hochparterre der Ostfassade nimmt eine Türe mit Zugangstreppe den Platz des rechten Fensters ein.
Die 2007 vorgenommenen Farbuntersuchungen führten zur Wiederherstellung der ursprünglichen, orange-roten Farbgebung, nachdem dieser bei Sanierungsarbeiten in den 70er Jahren verdeckt worden war. Die originale, kräftige Farbgebung verstärkt die Monumentalität des Gebäudes erheblich.
Der Fassadengestaltung entsprechend überzeugen auch die Grundrisse des Gebäudes durch ihre Einfachheit. Vom zentralen Vestibül des Hochparterres gelangt man in das grosszügig gestaltete Haupttreppenhaus mit der breiten, zweiläufigen Treppe, welche rückseitig durch das durchlaufende Fenster belichtet wird. Auffallend ist hier das hölzerne Treppengeländer, welches an den Enden in antikisierende Voluten übergeht. Das Haupttreppenhaus mündet direkt in den Korridor. Im Hochparterre sowie im ersten Obergeschoss erstreckt sich dieser über die gesamte Länge des Gebäudes und ist Verbindungsglied zwischen den beiden seitlichen, belichteten Treppenhäusern. Im Rahmen der 2009 vorgenommenen Sanierungsarbeiten wurde die ursprüngliche Farbgebung der Treppenhäuser wieder hergestellt. Dem Treppenverlauf folgt ein ca. 1 m breites, stumpf orange-rotes Band, während der Rest der Wandfläche in einem hellen Grauton gehalten ist.
An den Korridor reihen sich in den beiden Hauptgeschossen die Büroräume, von welchen einige noch mit originalen, teilweise mit Lüftungsschlitzen versehenen Holzeinbauschränken ausgestattet sind. Im 2. Obergeschoss führt das Treppenhaus über einen Vorplatz in die vier unterschiedlich grossen Dienstwohnungen. Diese weisen an den Terrassentüren und Fenstern feine, hölzerne Eckrundstäbe auf.
Das erste Kellergeschoss enthielt ursprünglich neben Lagerräumen diverse Einrichtungen zur Versorgung der Bahnbeamten. Noch heute befindet sich hier die Kantine. In der dazugehörigen Küche wurde ein originales Holzfenster mit Espagnoletteverschluss erhalten. Im zweiten Kellergeschoss sind die Tragpfeiler des Gebäudes noch ersichtlich, auch wenn die Trennwände wahrscheinlich verändert wurden.
Ein ausführlicher Zeitungsbericht des Baselbieter „Landschäftlers" anlässlich der Eröffnung des neuen Dienstgebäudes 1931 macht deutlich, dass der Bau auch aus zeitgenössischer Perspektive grosse Anerkennung fand. In seiner Architektur repräsentiere er die „mannigfache und in jeder Beziehung mit höchster Zweckmässigkeit angebrachte Einrichtung […] den Gedanken der Sachlichkeit in hervorragendem Masse". Der Neubau sei „ästhetisch durch seine Proportionen", seine Linien „klar und einfach […], organisch ineinandergefügt und trotzdem ausserordentlich stark wirkend". „Die moderne Architektur" habe „den Handwerkern, die dieses stolze Gebäude erstellt haben, die Mittel der Linienverhältnisse und der Farbgebung in die Hand gegeben, und diese elementaren Mittel erlauben es, das für scheinbar nüchterne Zwecke Gebaute mit Harmonie, Licht und Farbe zu füllen."
Tatsächlich bedient sich das massive Gebäude mit seiner schlichten, reduzierten Formensprache einer modernen Architektursprache. Der funktionsgeleitete Entwurf ermöglicht ein Ablesen der inneren Strukturen von Aussen, wie es vom Neuen Bauen gefordert wird. Von einer zunehmenden gestalterischen Freiheit durch den Einfluss der sich etablierenden Moderne zeugt auch die Anlage der beiden grossen Dachterrassen, die abgestufte Seitenfassade mit den halbzylinderförmigen Treppenhäusern, sowie auch der beinahe gänzliche Verzicht auf schmückende Elemente. Dennoch mochte sich der Architekt scheinbar noch nicht vollständig von den Zwängen einer historisierenden Bausprache loslösen. Durch den achsensymmetrischen Körper mit hervortretender Portalzone, die regelmässige Fassadengliederung und den Einsatz dekorativer Gesimse kommt dem Gebäude eine klassizistisch anmutende Gesamtwirkung zu. Dieser Spagat zwischen traditionellen Ansprüchen des Klassizismus und den Vorgaben der damals modernen Architektur lässt sich besonders gut an den Fenstern der Nordfassade erkennen. In ihrem Ausmass der Funktion der dahinterliegenden Räume entsprechend, fügen sie sich nicht in die regelmässige, symmetrische Fassadengliederung ein. Die dadurch entstehende, scheinbar als Misstand empfundene Unregelmässigkeit wurde mit Hilfe von Blendfenstern und einer Zusammenfassung durch Gesimse überwunden. Auch zeigen vorliegende Pläne aus dem Jahr 1928 einen noch viel stärker in der Tradition verhafteten Entwurf mit ausgebildetem Walmdach und ohne Fassadensprung an den Seiten. Die kurzfristige Planänderung lässt auf eine gewisse Unentschlossenheit in der Entwurfsphase und eine Unsicherheit des Architekten gegenüber den modernen Bauformen schliessen.
Anders als im benachbarten Deutschland war der Beginn des modernen Bauens in der Schweiz ein langsamer Prozess. Als frühes Beispiel und wichtiger Zeuge dieser zurückhaltenden Moderne kommt dem Dienstgebäude Süd eine grosse Bedeutung in der Schweizer Architekturgeschichte zu.