- Basel-Landschaft
- Organisation
- Direktionen
- Bau- und Umweltschutzdirektion
- Amt für Raumplanung
- Kantonale Denkmalpflege
- Inventare
- Kantonales Inventar der geschützten Kulturdenkmäler
- Ramlinsburg
- Gassenbrunnen 5/7
Gassenbrunnen 5/7
Der Fehler beim Errichten des Ständerbaus, einfach erklärt
Archäologie Baselland, Lukas Pfisterer
Im 15. Jahrhundert bestand Ramlinsburg aus den zwei selbständigen Höfen Ober- und Niederramlisberg, aus denen sich erst im 16. Jahrhundert ein Dorf zu entwickeln begann. Die beiden Siedlungskerne sind noch heute erkennbar und werden als Oberhof und Niderhof bezeichnet. Zuoberst im Gebiet Niderhof liegt in einer kleinen Mulde oberhalb der Strasse Gassenbrunnen, die hier steil zum Ortsteil Oberhof ansteigt, ein grosses Bauernhaus aus den Anfängen des Dorfes.
Das Bauernhaus besteht aus einem Wohnteil mit zwei Wohnungen, einer Ökonomie und einem Anbau. Die Giebelfassade des Wohnteils weist nach Südwesten zur Strasse. Das Ziegeldach ist hier zur Hälfte abgewalmt. An der Westecke liegt der teilweise über Terrain sichtbare Keller, der die Niveaudifferenz zur Strasse aufnimmt. Nur der rundbogige Kellereingang liegt in dieser Giebelfassade. Die beiden Wohnungseingänge befinden sich dagegen an den Traufseiten. Nach Südosten schliesst der mit der Giebelfassade bündige Anbau an. Er ist zweigeschossig und unterkellert und mit einem Quergiebel gedeckt. Mit der gleichen Breite wie der Wohnteil folgt diesem nach Nordosten die grosse Scheune mit Stall und Tenn sowie einem Schopf. Beide Traufseiten zeigen ein Bruchsteinmauerwerk und gleich angeordnete Öffnungen. Auf die noch im Wohnteil liegenden Haustüren folgen die Stalltüren, je ein Stallfenster und die Scheunentore, wobei jenes auf der Nordwestseite rundbogig ist und jenes auf der Südostseite einen geraden Sturz aufweist.
Der anschliessende Schopf reicht in das hier ansteigende Gelände, so dass das Erdgeschoss bis zur halben Höhe eingegraben ist. Der Schopf weist gegen Nordwesten, etwas aus der Fassadenflucht zurückversetzt, eine moderne Doppeltür auf, gegen Südosten nur ein Fenster. Wie bei der Scheune ist das Erdgeschoss gemauert. Zwei vergitterte Fenster weisen nach Nordosten. Das Dach des Schopfes reicht nicht mehr wie ursprünglich bis zum First. Es wurde durch ein flaches Pultdach ersetzt, das unten ein zweites Geschoss mit Holzverschalung und oben ein ebenfalls verschaltes Giebeldreieck freilässt. Der Bereich vor der südöstlichen Traufe der Scheune wurde im Verlauf der Zeit mehrfach abgesenkt und erweitert, so dass heute ein sieben Meter breiter Vorplatz von einer Stützmauer eingefasst wird.
Auf den ersten Blick weist das Bauernhaus ausser seiner Grösse keine Besonderheiten auf. Unter dem grossen Ziegeldach der Ökonomie verbirgt sich aber eine Überraschung. Hier haben sich wesentliche Teile einer Ständerkonstruktion erhalten. Diese Konstruktionsart, für die fast ausschliesslich Holz verwendet wurde, war für den Hausbau im Baselbiet üblich, bis sich bei Bauernhäusern ab dem 16. Jahrhundert langsam die Konstruktionsart mit gemauerten Fassaden und Sparrendach durchsetzte.
Die Ständerkonstruktion ist eine Bauart, bei der gebäudehohe Ständer das tragende System eines Gebäudes und dessen Daches bilden. Die Ständer reichen durchgehend von den Schwellen bis zum Dach und tragen dort die Pfetten, die wiederum die Rafen (Sparren) und die Dachdeckung tragen. Charakteristisch für diesen Bautyp sind die steilen mit Stroh gedeckten Vollwalmdächer. Ständerbauten mit drei Ständerreihen und steilem, strohgedecktem Dach, sog. Hochstudbauten, waren im Baselbiet weit verbreitet. Auf den in den Jahren 1678-1681 entstandenen Zeichnungen von G. F. Meyer sind zahlreiche solche Strohdachhäuser in den Dörfern des Baselbiets dokumentiert. Das heute wohl bekannteste Hochstudhaus des Baselbiets ist das Heimatmuseum in Buus.
Das Bauernhaus in Ramlinsburg weist nicht nur die üblichen drei Ständerreihen auf, sondern deren fünf. Man spricht daher von einer Mehrreihen-Ständerkonstruktion. Die Konstruktionsart mit mehreren Ständerreihen erlaubte grössere Bauten als die typische Hochstudkonstruktion, bei der in der Firstachse eine Reihe Hochstüde und an den Fassaden je eine Reihe Wandständer liegen. Im Bauernhaus in Ramlinsburg kommt jeweils zwischen den Ständern an den Fassaden und den Firstständern eine zusätzliche Reihe Zwischenständer dazu. Diese tragen je eine Mittelpfette.
Das Haus Gassenbrunnen 5/7 war ursprünglich als reiner Holzbau konzipiert. Es besass vier Firstständer, mächtige, zwölf Meter hohe, von der Grundschwelle bis zum First durchlaufende Föhrenpfosten, welche die Hauptlast des Daches tragen, sowie zweimal vier Zwischenständer und je sechs Fassadenständer an den Längsseiten. Die ganze Konstruktion ist mit versteifendem quer- und längslaufendem Strebewerk stabil verbunden. Sowohl Aussen- wie Innenwände waren mindestens im Scheunenteil ursprünglich mit Bohlen zwischen den Ständern ausgefacht. Die Wände des Wohnteils könnten schon ursprünglich gemauert gewesen sein.
Einige Ständer stehen schief und asymmetrisch, so dass auf den ersten Blick ein baldiger Einsturz zu befürchten war. Ein Fachmann konnte aber Entwarnung geben. Nicht der Bau hat sich stark geneigt, sondern Teile des Mehrreihenständergerüsts wurden bereits beim Aufrichten der Konstruktion aufgrund eines Fehlers beim Abbinden (dem Herrichten der Bauhölzer) schief, und nicht wie ursprünglich geplant senkrecht, errichtet. Im Bauerhaus in Ramlinsburg wurden die Blattsassen (Aussparungen) in den Kehlbalken für den Verbund mit den Firstständern an der falschen Stelle ausgenommen. Statt eine einfach zu bewerkstelligende Korrektur vorzunehmen, versuchte man, das Problem mit einem Austausch der Firstständer zu lösen. Der Fehler muss bereits vor dem Aufrichten erkannt worden sein, denn gewisse Verbindungen wurden schon unter Berücksichtigung der notwendigen Drehungen und Verschiebungen der Blattsassen gefertigt. Die vielen Abhängigkeiten der einzelnen Bauteile untereinander führten zu weiteren Anpassungen, Ständer wurden gedreht, Balken gekürzt und Langbänder gekappt, so dass die aufgerichtete Ständerkonstruktion zwar schief, aber doch in sich stabil war.
Die Schiefstellung verursachte mit der Zeit dennoch Probleme, so dass die Rafen, welche die ursprüngliche Deckung trugen, etwa zweihundert Jahre nach der Errichtung durch eine Sparrendach-Konstruktion, der das Mehrreihenständergerüst als Dachstuhl diente, ersetzt wurden. Trotz der massiven und bereits zur Bauzeit erfolgten Eingriffe in das Baugerüst, trotz der von Beginn weg vorhandenen Schiefstellung und trotz der späteren Veränderung der Lastabtragung des Daches blieb die Mehrreihen-Ständerkonstruktion bis heute erstaunlich standhaft.
Mit der Methode der Dendrochronologie (Holzaltersbestimmung) wurden die Konstruktionshölzer datiert. Für das Holz, das für die Mehrreihenständerkonstruktion verwendet wurde, ergab sich ein Fälldatum im Winter 1554/1555 und für die Balken des Kellers unter dem Wohnteil im Winter 1555/1556. Somit wurde das Bauernhaus frühestens 1556 erbaut. Auch die späteren Änderungen konnten datiert werden. Das Holz für die neue Dachbalkenlage des Wohnteils wurde im Winter 1713/14 geschlagen, was einem mit 1715 datierten Fenstersturz des Giebels entspricht. Damals wurde das gesamte Dachwerk des Wohnteils ersetzt, der strassenseitige Giebel im Bereich des ersten Dachbodens aufgemauert und der aktuelle Halbwalm errichtet. Ausser den beiden kleinen Kellerfenstern sind zudem alle Fenster des Wohnteils im Laufe der Zeit vergrössert worden.
Bei der Scheune erfolgte der Umbau der Dachkonstruktion zum Sparrendach frühestens im Winter 1778/79, wobei gleichzeitig die Dachdeckung, die wohl aus Stroh bestand, von einem Hartdach aus einfach gedeckten Biberschwanzziegeln abgelöst wurde. Dieser Bauphase gehört auch die Versteinerung der Fassaden der Scheune an. Die Bohlen in den Aussenwänden wurden dabei durch Bruchsteinmauern ersetzt.
Der südöstliche Anbau am Wohnteil, einraumgross und dreigeschossig, wurde nicht dendrochronologisch datiert, dürfte aber noch im 18. Jh. erstellt worden sein. Er könnte als Folge einer Besitzaufteilung entstanden sein. Die gegenüber den Geschossen im Wohnteil grösseren Raumhöhen im Anbau war wohl gewählt worden, um Webstühle für die Seidenbandweberei bequem unterzubringen. Spätestens ab 1848 sind gemäss Brandlagerbuch in beiden Haushälften hauptberufliche Posamenter tätig.
Die Teilung des Bauerhauses entlang des Firstes muss sicher vor 1807 erfolgt sein, dem ersten Eintrag in den Brandlagerbüchern, denn dort sind zwei Besitzer aufgeführt. Nicht vollständig auszuschliessen ist jedoch, dass das Bauernhaus bereits für zwei Familien gebaut wurde. Ansonsten widerfuhren dem Bauernhaus bis in die 1980er Jahre verschiedene kleinere Umbauten und Modernisierungen, die wohl mit den häufigen Besitzerwechseln einhergehen – in den Brandlagerbüchern sind 16 Eigentümer zwischen 1807 und 1951 dokumentiert. Bekannt ist auch, dass bis 1926 in der alten Stube des Hauses die Bürgerversammlung des Niderhofes stattfand, bevor die Zusammenlegung des Bürgergutes der beiden Dorfteile erfolgte.
Für ein Gebäude, das 460 Jahre lang genutzt wurde, ist im Bauernhaus in Ramlinsburg ausserordentlich viel von der ursprünglichen Substanz erhalten. Im Ökonomieteil sind drei Querbinder der Mehrreihen-Konstruktion inklusive der zwölf Meter hohen Firstständer, der Balkenlagen und der Verstrebungen in ansehnlichen Ausmassen erhalten, wenn auch die Grundschwellen bis auf ein einziges Teilstück verschwunden sind. In den Längsfassaden stehen noch drei Ständer im Bereich des Tenns. Die innenliegende Längskonstruktion ist über die zwei Binderfelder des Ökonomieteils erhalten.
Obwohl die Konstruktion nicht mehr komplett ist und Veränderungen erfolgten, lässt sich die ursprüngliche Form des Mehrreihenständerbaus gut ablesen und die Raumaufteilung rekonstruieren: das Haus wies zwischen den Abwalmungen des Daches vier Firstständer auf, was eine Fünfteilung des Grundrisses ergab. Von dieser Fünfteilung bilden zwei Teile den Wohnteil und drei Teile den Ökonomieteil. Im Wohnteil im Südwesten des Bauernhauses, der Schauseite zur Gasse hin, lag ursprünglich eine grosse Küche. Davon war eine unterkellerte und heizbare Stube abgetrennt. Im Ökonomieteil lag wie heute noch mittig ein Tenn. Zum Wohnteil hin nahm der Stall ein Binderfeld ein. Im hintersten, nordöstlichen Binderfeld unter der Abwalmung konnten ebenfalls Tiere untergebracht werden, falls der Platz nicht als Stauraum genutzt wurde.
Das Bauernhaus Gassenbrunnen 5/7 beeindruckt nicht allein durch sein hohes Alter und die Mehrreihenkonstruktion, von der noch grosse Teile erhalten sind, sondern auch durch den Umgang mit einem Fehler beim Abbund, der beim Aufrichten korrigiert werden musste, so dass viele Elemente seit jeher schief stehen. Dieser Fehler erlaubt einen besseren Einblick in die Art, wie ein solches Haus konstruiert wurde. Die Ergebnisse der Untersuchung sind inzwischen als Buch in der Schriftenreihe der Archäologie Baselland publiziert worden.
Das Haus Gassenbrunnen 5/7 ist eines der letzten in derartiger Vollständigkeit erhaltenen Exemplare eines mit Stroh gedeckten Haustyps, der über mehrere Jahrhunderte unsere Dörfer prägte. Auch aufgrund seines Alters besitzt es Seltenheitswert. Es ist wegen seiner speziellen Konstruktionsart und der Fehlerkorrektur ein eindrücklicher Zeuge einer technischen und handwerklichen Leistung. Es dokumentiert die historische Entwicklung von Ramlinsburg als eines der ersten Häuser der Dorfentstehung und ist damit ein wichtiger Zeuge für die Geschichte des Baselbiets.