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Niederbergstrasse 2
Die evangelisch-reformierte Kirche befindet sich an der Niederbergstrasse 2, in einem ab den späten 1950ern neu entstandenen Gebiet südlich des historischen Ortskerns gelegen. Zur Bauzeit war das Gebiet unbebaut, heute markiert der Kirchenbezirk mit Pfarrhaus, Kirchgemeinde- und Jugendzentrum und Seniorenwohnbauten das Zentrum des Quartiers Mischeli.
Da das einfache, 1930 bezogene Kirchgemeindehaus nicht mehr genug Platz bot, beschloss die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde, eine eigene Kirche zu bauen. Nachdem 1955 drei Grundstücke an der Flur Niederberg erworben wurden, war der Weg frei für die Ausschreibung und Durchführung eines Architekturwettbewerbs. Von den eingeladenen Architektenteams erhielt der Entwurf „Gallus“ von Ernst Gisel aus Zürich den Zuschlag, der in der Folge mehrmals überarbeitet wurde. Das zur Ausführung gelangte Projekt wich in vielem von der Wettbewerbsstudie ab, gewann jedoch durch die Klärung der Volumen eine äussere Form, die sich auch ohne die damals projektierten Nebenbauten (Pfarrhaus, Jugendzentrum) behaupten kann. Am 2. September 1962 erfolgte die Ecksteinlegung und ein Jahr später, am 1. September 1963, die feierliche Einweihung.
Ernst Gisel (*1922) gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der Schweizer Architektur in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Seine Unvoreingenommenheit gegenüber der Aufgabenstellung führte ihn zu individuellen und unkonventionellen Lösungen, die einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der modernen Architektur leisteten. Seine Bauten, wie auch die reformierte Kirche in Reinach, zeugen vom Dialog zwischen Plastik und Architektur und zeigen den souveränen Umgang mit zeitgenössischen Materialien und Technologien. Ernst Gisel realisierte auch mehrere Sakralbauten, von denen neben Reinach hauptsächlich die auch international beachtete reformierte Kirche Effretikon (1961), die Bergkirche in Rigi Kaltbad (1963), sowie das ökumenische Zentrum an der Expo in Lausanne (1964) zu nennen sind.
Entstanden ist ein flach gedeckter Sichtbetonbau mit horizontaler Schalungsstruktur, der gleichsam als Monolith seinen Platz beansprucht. Der niedrige, kubische Grundkörper der Kirche wird ergänzt durch mehrere orthogonale, seitlich leicht vorspringende Elemente. Die Staffelungen der Süd- und Westfassade werden von jeweils mehreren Reihen vertikal geschichteter, übereck laufender Bandfenster durchbrochen und erfahren dadurch eine strenge Gliederung. Die Befensterung der Nord- und Ostfassade erfolgt nach einem freieren Prinzip. Während der untere Wandbereich mit kleinflächigen, in grossen Abständen platzierten Fensteröffnungen versehen ist, verläuft im oberen, zurückversetzten Gebäudeteil ein schmales Fensterband. Zwei hohe, mehrteilige Fenster verweisen hier auf den in der nördlichen Emporenzone liegenden Sitzungsraum.
Aus seiner südöstlichen Ecke erhebt sich der markante, begehbare Glockenturm, bestehend aus zwei hohen, sich überschneidenden Körpern. Die allseitigen, grosszügigen Aussparungen im Bereich der Glockenstube eröffnen den Blick auf die vier mächtigen Kirchglocken und lassen den Turm trotz seines Ausmasses leicht erscheinen. Die Glocken sind auf C, Es, F und As gestimmt und wurden in der Giesserei Rüetschi in Aarau hergestellt. Im Sockel des Glockenturms ist die Vorhalle angeordnet, welche zum grossen, mit Kupferplatten beschlagenen zweiflügligen Portal führt. Rechts am Eingang ist das Werk „Eckstein“ des Basler Grafikers und Bildhauers Armin Hoffman (*1920) eingelassen. Der Eckstein ist aus Tessiner Granit geschaffen und versinnbildlicht als Leitgedanke für den Kirchenbau Psalm 118, Vers 22: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Über Eck geführt ist in Grossbuchstaben folgende Inschrift angebracht: Als Sinnbild des auserwählten Ecksteins – Christus – bewahre ich die Dokumente dieses Kirchenbaues seit 1962.
Der Kirchenraum wird über die hohe Vorhalle im Sockel des Glockenturms erschlossen, von welcher das schräg gestellte Portal mit kupferbeschlagenen Eichentüren in einen niedrigen Eingangsbereich unterhalb der Emporenzone führt. Der Zugang zum Innenraum erfolgt rückwärtig von der Chorwandseite her und hebt sich damit deutlich von dem des klassischen Kirchenbaus ab. Dies hat zur Folge, dass sich dem Besucher der Raum erst dann eröffnet, wenn er sich vollständig im Innern der Kirche befindet. Sowohl der Fussboden als auch die Wände sind mit rotem Backstein ausgekleidet und bilden so eine materielle Einheit. Durch ihre Ausführung in rohem Sichtbeton und dunklem Holz treten die Kanzel, der Taufstein und der leicht erhöhte Abendmahltisch deutlich hervor. Rechts neben der Kanzel an der Backsteinwand hängt ein monumentales Kreuz aus Eichenholz-Spaltlingen, 1975 geschaffen vom Allschwiler Künstler René Küng (*1934). Die Lichtregie im Altarbereich und die Zentrierung auf die leicht erhöhte Kanzel machen zwar unmissverständlich klar, dass es sich hier um einen sakralen Ort der Andacht und des gemeinsamen Gebets handelt, um eine typische protestantische Predigthalle, in der das Wort im Zentrum steht. Und doch ist dieser Raum bei aller Eindeutigkeit höchst flexibel: Die lockere Bestuhlung bietet 600 Personen Platz, ermöglicht aber auch Andachten im kleinen Kreis. Er eignet sich dank seiner guten Akustik auch als Aufführungsort für Theater und Konzerte.
Die Decke des Kirchenraums ist durch Querstreben in regelmässige, in der Schalungsrichtung des Sichtbetons alternierende Quadratflächen eingeteilt. In den Ecken der Flächen sind quadratische Öffnungen eingelassen, aus welchen quadratische Kupferleuchten mit Glasgalosche hervorragen und den grossen Kirchenraum beleuchten.
Der zurückhaltend ausgestaltete Kircheninnenraum wird durch gezielte Lichtinszenierung bespielt. Durch die leichte Rückversetzung der unteren Chorwand werden die Fenster kaschiert, welche von hinten weiches Licht auf die Wand fallen lassen. Die übereck laufenden Fenster der gestaffelten Westwand sind so angebracht, dass die der Kanzel zugewandten Kirchenbesucher nur indirektes Licht wahrnehmen können. Als direkte Lichtquelle dienen die oberhalb der Empore, unmittelbar unter dem Dach entlanglaufenden Bandfenster, sowie die kleinflächigen Fenster im hinteren Teil der Kirche.
Über eine einläufige Treppe auf der Ostseite gelangt man auf die Empore, die sich nach Westen und Süden entwickelt. Drei Stufen ermöglichen eine optimale Bestuhlung. Die Brüstungen der Empore sind mit dunkel eingefärbtem Eichenholz versehen.
Fehlte bei der Einweihung 1963 aus Kostengründen eine Kirchenorgel, so lieferte 1964 die Orgelbaufirma Metzler&Söhne aus Dietikon eine zweimanualige Orgel mit 20 Registern und einem Pedal. Das Orgelgehäuse, im dunkeln Holzton gehalten, wurde von Ernst Gisel entworfen.
Auf der Nordseite des Gebäudes sind im Erdgeschoss Nebenräume und im ersten Obergeschoss über die Empore erschlossen ein Sitzungszimmer untergebracht.
Ausgelöst durch Karl Mosers Antoniuskirche in Basel (1927) beschäftigten sich viele Schweizer Architekten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiv mit der Frage, wie eine Kirche als symbolträchtiger Kultort in der Moderne auszusehen hat. Die Modernisierung der katholischen Kirche sowie das Bedürfnis nach neuen Kirchenbauten in den vom Krieg direkt betroffenen Gebieten verhalfen der Diskussion in der Nachkriegszeit zu neuem Aufschwung. Ernst Gisel war der Ansicht, der Architekt dürfe durch die theoretische Beschäftigung mit dem symbolischen Ausdruck nicht seine eigentliche Aufgabe vergessen - nämlich einen möglichst gut nutzbaren und künstlerisch hochwertigen Bau zu entwickeln - und vertrat somit in diesem Diskurs eine eher sachliche Position. Es dürfe dem Sakralbau nicht a priori eine Vorrangstellung innerhalb der Architekturgattungen zukommen, sondern auch er müsse entsprechend der individuellen, ortsspezifischen Aufgabe erbaut werden; eine Kirche solle in erster Linie Architektur sein und nicht zum Symbol verkommen.
An der Reinacher Kirche ist die pragmatische Haltung des Architekten deutlich zu erkennen. Zwar erfährt sie durch ihre leicht erhöhte Positionierung eine Aufwertung, der karge Baukörper mit seinen Flachdächern und den eher bescheidenen Ausmassen passt sich jedoch ausgezeichnet in die Architektur der Umgebung ein. Die Kirche zwischen der Atriumsiedlung „In den Gartenhöfen“ und dem Mischelicenter, gelegen, bildet das Zentrum des um 1960 innert kürzester Zeit entstandenen Mischeli-Quartiers, entstanden auf dem freien Feld abseits vom historischen Ortskern. Mit dem im Jahre 2013 erbauten Kirchgemeindezentrums des Basler Architekturbüros Stump & Schibli wird der Platz vor der Kirche neu gefasst.
Die Kirche gilt neben Hermann Baurs Bruder Klaus Kirche in Birsfelden (1959) und Fritz Metzgers Bruder Klaus Kirche in Liestal (1961) als eine der bedeutendsten modernen Kirchenbauten des Kantons Baselland. Besonders beachtenswert sind die Leichtigkeit des kubischen Glockenturms und die Staffelung der massiven Westwand. Im Innenraum besticht der Bau durch den indirekten Lichteinfall hinter dem Abendmahltisch, sowie durch die alternierende Materialität von grauem Sichtbeton, roten Backsteinen und dunkelbraunem Holz. Die Kirche hat bis heute ihre originale Ausstattung bewahrt und kann dank der pragmatisch-sachlichen Gestaltung weiterhin für unterschiedliche Veranstaltungen genutzt werden.